piwik no script img

„Ich sah Strahlen der Freude und des Glücks“

■ Portrait der deutschen Tanzlehrerin aus Rußland, Elsa Dietrich

„Wenn man in Rußland ist und nach Deutschland blickt, sieht man wunderschöne, märchenhafte Bilder. In meiner Phantasie sah Frankfurt wie eine hell erleuchtete Stadt aus, ich sah Strahlen der Freude und des Glücks“, sagt die vierzigjährige Tanzlehrerin aus Krasnojarsk.

Deutschland sei ein anderes Land als andere Länder, habe man ihr erzählt. Hier könne man alles erreichen, was man sich wünsche. Es sei ein reiches, zivilisiertes Land mit unbegrenzten Möglichkeiten. Man könne reisen, wohin man wolle, könne den Urlaub in anderen Ländern verbringen. Nicht nur die Auswahl an Waren, sondern auch das kulturelle Angebot sei unbegrenzt.

Meine Frage, ob die schließlich vorgefundene Realität sie enttäuscht habe, beantwortet sie mit einem entschiedenen „Nein“. So als wollte sie einen ihre Existenz bedrohenden Angriff abwehren. Das Deutschlandbild, das sie schon als Kind aus den ständigen Erzählungen der Eltern und Großeltern entnommen habe, bewahre sie immer noch in ihrem Herzen. „Es ist meine Heimat, ich habe mich ein Leben lang nach ihr gesehnt.“

Die deutsche Tanzlehrerin hat unter ihren Verwandten als letzte mit ihren drei Kindern 1991 Rußland verlassen. Eigentlich gab es für diese Aussiedlung keinen vernünftigen Grund. Sie hatte in Rußland eine gute Ausbildung bekommen, konnte in ihrem Beruf ihre Begabungen entfalten und war materiell gesichert. Sogar mit der herrschenden Ideologie konnte sie sich identifizieren und später den politischen Umbruch nachvollziehen. In der russischen Gesellschaft habe sie sich nie als eine Fremde gefühlt. Doch all dies konnte ihre Sehnsucht nach Deutschland nicht stillen.

„Wenn wir aus Deutschland Päckchen bekamen, löste allein die Verpackung eine Begeisterung in mir aus. Wie schön muß dieses Land sein, dachte ich, wie ordentlich, wie sauber.“ Zwei Jahre lang mußte sie auf die Einreiseerlaubnis warten. Dann kam der ersehnte Augenblick: der Flug von Moskau nach Frankfurt und anschließend die Busfahrt nach Friedland. Der erste Eindruck sei überwältigend gewesen. Diese Schaufenster mit den unzähligen Waren. „Alles glänzte und glitzerte. Die Ordnung und Disziplin im Straßenverkehr, die freundlichen Menschen. Und Friedland, dieses idyllische Dorf, so sauber, so gepflegt, mit zahlreichen Blumen geschmückt und mit einem Fluß, in dem Fische schwammen.“

Das große Angebot an Waren habe in den ersten Tagen einen erschlagenden Eindruck auf sie gemacht. Einmal sei es ihr in einem Lebensmittelgeschäft beim Anblick der Fleischvitrine so übel geworden, daß sie das Geschäft verlassen mußte. Elsa Dietrich verbrachte das erste Jahr mit ihren drei Kindern in einem Übergangswohnheim. Dann erhielt sie eine Sozialwohnung in Frankfurt. Eine Arbeit hat sie bis heute nicht bekommen. Man habe ihr des öfteren deutlich zu verstehen gegeben, daß eine Tanzlehrerin aus Rußland hier nicht gebraucht werde.

Sie sei durch das Labyrinth der Verwaltung geschleust worden, habe viel Zeit beim Arbeitsamt, Ordnungsamt, Standesamt, Sozialamt und dergleichen verbracht. Doch das Ringen um eine Arbeitsstelle sei bisher vergeblich gewesen. Es behage ihr nicht, von der Sozialhilfe leben zu müssen. Sie käme sich wie eine Bettlerin vor.

Heimisch fühlt sich Elsa Dietrich in ihrer Heimat immer noch nicht. Ihr Deutsch, ein Gemisch aus Bayrischem und Schwäbischem, klingt für die Einheimischen fremd. Selbst der Besuch eines Sprachkurses konnte diesen Mangel nicht ganz beheben. Freundinnen und Freunde hat sie keine. Leichter als zu den Deutschen findet sie zu den hier lebenden Ausländern und Ausländerinnen Zugang.

Hier seien die Leute zu sehr mit sich selbst beschäftigt, meint sie. „In Rußland wußte ich immer, wenn ich Probleme hatte, zu wem ich gehen sollte. Man hat mir geholfen oder mir wenigstens zugehört. Hier fühle ich mich ziemlich einsam.“ Bahman Nirumand

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen