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„Männer aus der Dusche gejagt“

Ein Lesbencamp und der ostdeutsche Campingplatz – Chronik einer Eskalation / Wie aus unscharfen Beobachtungen Vorurteile werden  ■ Von Sonja Schock und Anja Kaatz

Was da vorgeführt wurde“, Frau Gundel reißt entsetzt die Augen auf, „zu zwei bis drei Frauen haben die geduscht, vor den Kindern, und die Männer haben sie aus der Herrendusche gejagt.“ „Laß nur“, winkt ihr Mann ab, „eigentlich geht es doch darum, daß die soviel Lärm gemacht haben. Was die sonst so treiben, interessiert mich nicht.“ Der große, massige Mann ist ganz rot im Gesicht geworden: „Ich find' es zum Kotzen, wenn Leute diskriminiert werden, und deshalb hab' ich auch gesagt: Die können hier zelten. Aber so was – wir haben nächtelang kein Auge zugetan. Jede Nacht bis zwei, drei Uhr dieses laute Gegacker und Gekichere. Nur deshalb hab' ich sie vom Platz geworfen.“

Der Campingplatzbesitzer hat es sich mit seiner Familie und einigen Stammgästen im Wohnzimmer seines kleinen Bungalows bequem gemacht. Zwischen lila Katzenbaum und dunkler Schrankwand erinnern sie sich bei einer Tasse Kaffee gemeinsam an die durchlittenen Greuel. Frau Bunge aus Leipzig schüttelt sich. „Barbusig sind sie rumgelaufen und haben sich an der Brust gepackt. Und nachts haben sie im Kreis gesessen, und zwei haben in der Mitte übereinandergelegen ... und sich abgeleckt oder so was.“ Die rundliche Frau in T-Shirt und Leggins sucht nach Worten, um „so etwas“ zu beschreiben. Die anderen nicken wissend. „Schade, daß wir das nicht gefilmt haben. Wir haben noch Fotos gemacht, aber da ist leider nichts zu erkennen.“ Frau Gundel, eine energische, blondgelockte Mitvierzigerin, kramt ein Polaroid aus dem Wohnzimmerschrank. „Das war der Abend, wo die meinen Mann verspottet haben.“ Auf dem Foto sind nur ein paar helle Flecken zu sehen. „Aber das schlimmste“, fällt Frau Bunge ein, „war, daß sie ihre Kinder tätowiert haben, am ganzen Körper.“ Wieder nicken alle. „Das ist doch Körperverletzung, oder?“ fragt Hans Gundel in die Runde. Plötzlich springt er auf und stürmt zum Fenster. „Da ist sie, die Oeppke“, die schmeiß' ich vom Platz, die will ich hier nicht mehr sehen.“

Wenig später stehen sich die Kontrahenten auf dem schmalen Sandweg vor Gundels Bungalow gegenüber. Jenny Oeppke versteht bis heute nicht, warum das „Zweite Ostlesbencamp“, das sie mitorganisiert hatte, derart unrühmlich zu Ende gegangen ist. Gemeinsam mit Sandra Riedel*, einer anderen Organisatorin, ist sie noch einmal von Berlin aus ins mecklenburgische Freest zurückgekehrt, um klarzustellen, daß sie zu Unrecht vom Platz verwiesen worden sind. „Der Lärm war doch bloß ein Vorwand“, wirft sie Gundel vor, „gestört hat Sie doch vor allem, daß wir uns offen geküßt und umarmt haben.“ Gundel verzieht das Gesicht: „Das ist nicht wahr, ich hab' nichts gegen Lesben, und auch die anderen Gäste haben sich nur über den Radau beschwert, den Sie jede Nacht gemacht haben.“ Empört zeigt Jenny Oeppke auf einen schmalen Streifen Waldboden, der sich direkt neben Gundels Bungalow zwischen dem Begrenzungszaun des Platzes und dem Sandweg erstreckt. „Hier waren streckenweise bis zu hundert Frauen plus Kinder. Das war so eng, daß sich die Schnüre der Zelte gekreuzt haben.“ Natürlich seien so viele Menschen auf einem Haufen lauter als ein paar Kleinfamilien. Außerdem habe Gundel die Vereinbarungen nicht eingehalten. „Da“, Jenny Oeppke weist mit dem Arm auf eine Hütte, die sich in etwa 20 Metern Entfernung auf der anderen Seite des Sandweges befindet, „bis dort hinten sollte unser Areal reichen. Das hätten wir abtrennen können. Aber als wir kamen, saßen wir plötzlich mitten zwischen den anderen Campern.“

Lesben und ostdeutsche Urlauberfamilien Zeltwand an Zeltwand – da half auch das mitgebrachte lila Band nichts mehr, das ursprünglich für Trennung sorgen sollte. Schließlich, so Jenny Oeppke, habe sie extra den etwas abgelegenen Zeltplatz an der Peenemündung ausgesucht, um Konfrontationen zu vermeiden. Die Frauen hätten nichts anderes gewollt, als abseits der Haupttouristenströme zwei Wochen ungestört Ferien zu machen, Workshops abzuhalten und Spaß zu haben. „Wir wollten uns zumindest im Urlaub nicht verstecken müssen. Gerade wir Ostlesben sind lange genug unsichtbar gewesen“, macht die junge Lehrerin deutlich. Sie selbst trägt ein doppeltes Frauenzeichen im Ohr.

Hans Gundel beteuert, daß für ihn nicht das Liebesleben der Frauen das eigentliche Problem gewesen sei. Wortreich schildert er seine Sicht der Dinge, fällt Jenny Oeppke immer wieder ins Wort. Daß er vorher nicht erfahren habe, wie viele Frauen genau kommen würden, daß er extra Miettoiletten aufgestellt und Privatmöbel rausgerückt habe. „Das würde ich doch nicht machen, wenn ich gegen Lesben wäre, oder?“ Und das Areal sei nur deshalb so klein geraten, weil immer wieder „normale“ Familien mit Kindern an seiner Rezeption gestanden hätten, die schon seit Stunden vergeblich einen freien Platz gesucht hätten. Einwände und Vorwürfe von Jenny Oeppke wischt er mit einer Handbewegung und den Worten „ich sag' da nichts mehr“ weg. Er hält Abstand zu den beiden kurzhaarigen Frauen in Jeans und T-Shirt, die ihm gegenüberstehen.

Hans Gundel ist unsicher, wie er mit diesen Frauen umgehen soll. Im Bungalow hatte er zugegeben: „Mit Männern kann ich besser umgehen. Denen gibt man zur Not eins auf die Glocke. Vielleicht auch mit normalen Frauen, aber was macht man denn mit so jemandem.“ Das habe wohl was mit den Hormonen zu tun. Das wisse man ja. „Wir haben immer nach dem weiblichen Typ gesucht, aber den haben wir nicht gefunden“, ergänzt seine Frau. Aber trotzdem, um die Kinder hätten sich die „Damen“ schon gekümmert, und es seien auch nicht alle gleich gewesen. Hans Gundel hat darüber Buch geführt. Auf der Anmeldeliste hat er sorgfältig alle „vernünftigen“ Frauen mit Textmarker gekennzeichnet. Er ist stolz, daß er die Kontrolle darüber hat, was auf seinem Platz passiert. „Was uns hier gefällt, ist, daß Ruhe und Ordnung herrscht.“ Die anderen Camper wüßten dies zu würdigen. Schließlich seien bei ihm noch keine Schlägereien oder ähnliches vorgekommen. Er habe den Frauen extra einen Zeitungsartikel über einen Skinheadüberfall auf einen Rügener Campingplatz gezeigt, um den Unterschied klarzumachen.

Genau diesen Artikel aber haben einige Frauen als Bedrohung empfunden. Sie glaubten, so auch Sandra Riedel, daß der Zeltplatzbesitzer ihnen in Wirklichkeit damit drohen wollte, die Skinheads auf sie zu hetzen, wenn sie sich seinen Anweisungen nicht fügten. Auch andere Vorkommnisse sorgten bei ihnen für Beunruhigung. Einmal fürchteten sie, Gundel würde seinen Rottweiler auf sie hetzen. Bei einem Rundgang des Campingplatzbesitzers über „ihr“ Gelände will eine Frau gehört haben, daß er seinem Hund trotz Maulkorb „faß!“ zugerufen habe. Ein anderes Mal dachten sie, er wolle ihr Lager mit einem Feuerwehrschlauch „plattmachen“. Gundel versteht nicht, wie es zu diesem Mißverständnis kam. Er beteuert, er habe nur gesagt: „Ihr macht soviel Dreck, daß ich den hinterher mit dem Schlauch wegspritzen muß.“ Als besonders bedrohlich erlebte Jenny Oeppke eine Aktion einiger Camper aus Leipzig: „Am Morgen des Abreisetags hat sich eine Gruppe junger Männer mit einem Jeep vor unseren Zelten aufgebaut und uns mit Technomusik vollgedröhnt. Die Typen sahen aggressiv aus, und einer hatte einen Baseballschläger in der Hand.“

Auf dem Höhepunkt des Konfliktes riefen beide Parteien nach der Polizei: Gundel, weil er die Frauen loswerden wollte, die Frauen, weil sie Schutz suchten. Die herbeigeeilten Beamten aus Wolgast begrüßten als erstes ihren alten Bekannten, nicht ohne Spott: „Hallo Hansi, wirst du mit dieser Horde wildgewordener Weiber nicht fertig?“ Beratend standen sie ihm daraufhin zur Seite, wie Gundel anerkennend vermerkt.

Er ist sich auch heute noch sicher, daß alle hinter ihm stehen. Um das zu beweisen, biegt er jetzt vom Sandweg ab und steuert auf ein Zelt zu, Jenny Oeppke und Sandra Riedel im Schlepptau. Das Zelt lag in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Lesbencamp und gehört Familie Buchholz aus Berlin. Die Familie wirkt unsicher. Mit leiser Stimme erzählt die Frau von ihrer epileptischen Tochter, einem dunkelhaarigen, etwa zehnjährigen Mädchen, das sich ängstlich an die Mutter drängt. Nachts und in der Mittagsruhe habe das Kind nicht schlafen können, erzählt Frau Buchholz, und noch immer leide sie unter Anfällen. „Warum haben Sie denn nichts gesagt“? will Jenny Oeppke von ihr wissen. „Ich hab' nichts gegen Randgruppen“, erläutert Frau Buchholz zögernd, „aber ich möchte nicht direkt damit konfrontiert werden; man muß ja da immer über den eigenen Punkt hinweggehen.“ Ein älteres Ehepaar, die Gayders aus Halle, kommen in Bademantel und Jogginganzug hinzu. Auch sie und ihre Enkelkinder hätten nachts nicht schlafen können. „Außerdem“, so Frau Gayder, „haben die neben unser Zelt ins Kornfeld gemacht.“ Daß die Frauen Lesben seien, hätten sie anfangs gar nicht gemerkt, das sei ihnen auch egal gewesen. „Aber man guckt doch da mal, oder? Auch daß die sich küssen...“, sagt Herr Gayder schüchtern. Die ruhige Art, mit der die beiden Familien erzählen, läßt Jenny Oeppke und Sandra Riedel verlegen und unsicher zu Boden schauen. Möglicherweise hätten sie sich ja wirklich nicht genug Mühe gegeben, ruhiger zu sein. Auch Frau Gayder lenkt ein. Lachend erkundigt sie sich nach dem Trick, wie man Kinder bei so einem Lärm zum Schlafen bringt. „Sie hatten doch auch Mütter dabei. Wie haben Sie das bloß hingekriegt?“ Jenny Oeppke stellt fest, daß es besser gewesen wäre, mehr miteinander zu reden. Möglich, daß sich dann auch die geheimnisvollen Kindertätowierungen hätten aufklären lassen. „Aber das waren doch bloß Abziehtattoos aus der Bravo “, erzählt sie später am Strand.

Vorher aber treffen die Frauen auf alte Bekannte. Hundert Meter weiter passieren sie die Gruppe junger Leipziger mit Jeep. „Sehen Sie, die sind völlig harmlos“, stellt Gundel sie vor, „den Baseballschläger hat der Lutz hier doch nur nach vorne ins Auto geräumt.“ Der Mann im Jogginganzug, Lutz Müller, beginnt sofort zu fluchen, als er Jenny Oeppke und Sandra Riedel sieht. Flaschen hätten sie am Strand zerschlagen, schimpft er, die Scherben seien immer noch zu sehen. Leise zischelt er: „MG-25 und durchgehen. Gleich den Wasserwerfer nehmen und in die Duschräume Nebelwurfgeschosse. Aber da waren ja Kinder dabei. Schwule hätten wir aufgeklatscht.“ Die Frauen bewegen sich langsam rückwärts und wenden sich erschrocken ab. Hans Gundel versucht den jungen Sachsen zu bremsen: „Sei ruhig Lutz, das gibt doch nur Ärger.“

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