Recycling der Atom-Gehirne

Das Internationale Zentrum für Wissenschaft und Technik bietet Ex-Aktivisten der russischen Kriegstechnologie mehr als Beschäftigung  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Zehntausende von darbenden russischen Atomwissenschaftlern, die aus löchrigen Parka-Taschen Plutoniumpröbchen fischen, um ihre Familien zu ernähren, ja vielleicht sogar buhlerisch Saddam Husseins Agenten zuzwinkern – diese Schreckensvision plagte den Westen schon vor zwei Jahren. Die Antwort darauf war im Januar 1992 ein Gipfel-Abkommen zwischen den Präsidenten Jelzin und Bush mit dem Ziel, zu gründen, was heute das Internationale Wissenschafts- und Technologiezentrum (IWTZ) in Moskau ist. In diesem Jahr, am 2. März, wurde der Traum Wirklichkeit. Das Zentrum nahm seine Arbeit auf und hat bisher dreißig Projekte als förderungswürdig anerkannt.

Im Aufsichtsrat sitzen für die russische Seite Vertreter des Außen- und des Atomministeriums. In diesem Zusammenhang gab es einmal einen Protestbrief des Vize- Präsidenten des berühmten Moskauer Kurtschatow-Institutes für Atomforschung, Nikolaj Ponomarjow-Stepnoj. „Ich habe mich nicht gegen die Struktur des Zentrums gewandt“, verdeutlicht Ponomarjow-Stepnoj im Gespräch mit der taz, „nur dagegen, daß die zu fördernden Projekte ein wenig atomministeriumslastig waren – und daß alles sehr, sehr langsam ging. Inzwischen sind zwar auch einige der von unserem und anderen Forschungsinstituten vorgeschlagenen Projekte akzeptiert worden. Aber das Verfahrenstempo ist gleichgeblieben.“

Auf eine Geduldsprobe wurden auch die Nerven der heute etwa zwanzig Mitarbeiter des Zentrums gestellt. Zwei Tage bevor im letzten Oktober der Oberste Sowjet die Gründungsverträge ratifizieren wollte, nahm sogar die russische Verfassungskrise militärische Dimensionen an. Im Kanonendonner um das Weiße Haus sahen die IWTZler ihre Hoffnungen versinken. „Noch immer hat die Duma uns nicht ratifiziert, aber wir dürfen wenigstens auf Zeit arbeiten“, sagt der Vertreter der Europäischen Union im Aufsichtsrat, Alexander Brenner. Der promovierte Chemiker („Mein Studium ist schon prähistorisch“) arbeitete in den 70er Jahren bereits einmal in der russischen Hauptstadt, als Wissenschaftsreferent an der Deutschen Botschaft. „Während verabredungsgemäß das Geld von der westlichen Seite schon fließt, hapert es noch ein wenig mit der Infrastruktur des Institutes und den Büroräumen, für die das Atomministerium zuständig ist“, beklagt sich Brenner vorsichtig. Offenherzigere Mitarbeiter berichten, daß in dem Gebäude lange nichts mit den Telefonen anzufangen war und – na ja – mit den Toiletten. Bis man eine dänische Baufirma zur Hilfe rief.

Von 400 Projektanträgen sind bisher 50 bewilligt worden. 3.000 russische Wissenschaftler arbeiten, manche auch in Teilzeit, im Konversionsbereich. Schon richtet ein Mathematiker-Team in Jekaterinburg im Ural nach lebenslanger Beschäftigung mit Raketenbahnen-Ellipsen, seine Ohren und Formeln auf die seismologischen Vorgänge im Bauch der Erde aus. Im Moskauer Umland ausgesandte Schockwellen sollen, statt Raketen anzutreiben, jetzt Industriediamanten verdichten. Noch hat das Institut drei Viertel seines Etats von 80 Millionen Mark zu vergeben. Medizinische und ökologische Zielsetzungen haben Konjunktur.

„Es entspricht dem politischen Sinn unseres Institutes, daß mindestens 50 Prozent der genehmigten Gelder für Gehälter verwendet werden“, sagt Brenner. „Ein Wissenschaftler, der Vollzeit für uns arbeitet, bekommt zwischen 300 und 400 Dollar im Monat.“ Das ist für russische Verhältnisse (Durchschnittslohn ca. 150 Dollar) ganz anständig.

50 Prozent der Wissenschaftler kommen aus Städten wie Arsamas-16 oder Tomsk-7. „Noch verteidigen die russischen Behörden den Wall der Geheimhaltung um diese Orte Zentimeter für Zentimeter, aber er hat schon deutlich Löcher bekommen“, meint Brenner. „Natürlich dürfen wir dort nicht hinter alle Türen gucken.“ Und schließlich gibt es in jedem Staat ein paar Türen, die für andere geschlossen bleiben.

„Aber zu allen Laboratorien, in denen von uns finanzierte Projekte durchgeführt werden, haben wir jederzeit Zugang.“ Und noch etwas gehört zur „Konversion der Gehirne“, die der Emissär der Europäischen Union im Moskauer Süden als sein Hauptanliegen bezeichnet: „Wir vermitteln Kontakte zwischen westlichen und östlichen Wissenschaftlern. Manche der Nuklear-Experten haben noch nie einen westlichen Kollegen zu Gesicht bekommen. Jetzt endlich können sie auch die Verfasser-Nasen erblicken, die zu ihren Lieblingsartikeln in westlichen Fachzeitschriften gehören.“