■ An Kubas Küsten drängen Hunderte auf kleine Boote, um nach Florida zu fliehen. Dort sind sie selbst ihren Vorgängern, den 700.000 Exilkubanern, nicht willkommen.
: Die Brigaden schießen nicht

An Kubas Küsten drängen Hunderte auf kleine Boote, um nach Florida zu fliehen.

Dort sind sie selbst ihren Vorgängern, den 700.000 Exilkubanern, nicht willkommen.

Die Brigaden schießen nicht

In aller Ruhe begeben sich die kubanischen Flüchtlinge mit einem notdürftig zusammengezimmerten Floß auf große Fahrt. Altes Blech, morsches Holz und Kunststoffplatten – das sind die Baustoffe für ein Gefährt, mit dem sie die Karibik durchkreuzen und nach Florida fliehen wollen. Schauplatz ist die Bucht von Cojimar, etwa 15 Kilometer von der Hauptstadt Havanna entfernt, von wo am Donnerstag und in der Nacht zu gestern Hunderte die Fahrt in eine ungewisse Zukunft angetreten haben. Viele lassen Familienangehörige und Freunde zurück.

Hunderte haben sich in der Bucht von Cojimar versammelt, um die Flüchtenden anzufeuern und ihnen Glück für ihre Reise zu wünschen. Ähnliche Szenen spielten sich auch an anderen Küstenabschnitten Kubas ab. Seit 1980 wurde es den Flüchtenden nicht mehr so leicht gemacht: Die kubanischen Milizen sehen tatenlos zu, wie immer mehr Menschen gen USA aufbrechen.

Ganz in der Nähe stehen einige Polizisten, ohne dem Treiben große Aufmerksamkeit zu schenken. Die aus regimetreuen Zivilisten zusammengesetzten „Brigaden der schnellen Aktion“, nach US-Schätzungen 1,4 Millionen Milizen, die sonst immer bereitstehen, um Proteste zu unterdrücken, tun nichts. Das Gerücht scheint sich zu bestätigen: „Das Tor zu den Vereinigten Staaten ist offen!“ Dennoch beobachten Boote der kubanischen Küstenwache aufmerksam, was sich an den Ufern tut. Ein Patrouillenboot, das noch am Horizont erkennbar ist, hat die Flucht einiger Kubaner beendet und sie an Bord genommen. Auch die sechs Jugendlichen, die ihr Floß auf Fahrrädern in die Bucht von Cojima bringen wollten, hatten kein Glück: Bevor sie die Bucht erreichten, wurden sie von einer Polizei-Patrouille aufgegriffen. „Der Moment ist gekommen, in See zu stechen“, sagt ein Mann aus Havanna. Einer seiner Verwandten hatte es am Mittwoch nach Florida geschafft. „Jetzt oder nie, bevor uns die Nordamerikaner die Tür versperren.“ Auch der 22jährige David ist entschlossen: „Sobald ich meine Sachen zusammen habe, bin ich weg.“ David hat ein lahmes Bein. Im vergangenen Jahr trafen ihn Kugeln der kubanischen Küstenwache, die eine Gruppe von Kubanern an der Flucht hinderten.

Der Aufbruch der Kubaner hatte in Miami beim Gouverneur von Florida, Lawrence Chiles, am Donnerstag Panik ausgelöst. Mit der Entscheidung von US-Justizministerin Janet Reno, Flüchtlingen aus Kuba künftig nicht mehr automatisch politisches Asyl zu gewähren, hofft die US-Regierung, die Flüchtenden abzuschrecken. Der Vorwurf von Chiles, das Weiße Haus versuche die Entwicklung trotz täglich steigender Flüchtlingszahlen „zu leugnen“, hatte ins Schwarze getroffen.

Auch vor dem Hintergrund seiner sinkenden Popularität im eigenen Land konnte es sich Clinton nicht leisten, die Politik der offenen Arme gegenüber Kuba fortzusetzen. Äußerungen wie die des vor wenigen Tagen von der US- Küstenwache von einem Floß geretteten 48jährigen kubanischen Taxifahrers Luis Alvarez – „Ganz Kuba wird hierherkommen“ – heizen die Befürchtungen an. Freiwillige und Mitglieder der Nationalgarde – Chiles hatte am Vortag den Notstand ausgerufen – errichten um Miami und Key West immer mehr Zeltstädte.

Mitarbeiter von Hilfsorganisationen kritisierten die Maßnahmen der US-Regierung jedoch als überzogen. Bis Donnerstag abend waren in diesem Jahr lediglich 6.872 Kubaner nach Florida geflohen. Der größte Unterschied zur letzten Einwanderungswelle 1980, als 120.000 Kubaner nach Miami kamen, liegt in der Haltung der 700.000 Exilkubaner in Florida: Damals waren sie mit ihren Booten den Flüchtenden entgegengefahren. taz/AFP/wps/AP