Prüfstein für die Polizei

■ Polizeiübergriffe: Anwalt Rubbert zum Ermittlungsstand / Noch Welten entfernt vom Bernauer Aufklärungswillen

Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen in 51 Fällen gegen Polizisten wegen Übergriffen auf vietnamesische Zigarettenhändler (siehe taz vom Samstag). Die Ermittlungen fußen größtenteils auf Gedächtnisprotokollen betroffener Vietnamesen, die die Beratungsstelle „Reistrommel“ der Kripo schon vor längerem überreichte. Laut Justizpressestelle wird Polizisten nun in 34 Fällen Körperverletzung im Amt vorgeworfen und in 17 Fällen Unterschlagung. Die meisten Verfahren richten sich nach wie vor gegen Unbekannt. Anklage erhoben wurde bislang nur gegen zwei Beamte. Die Vorfälle haben nach bisherigen Erkenntnissen nichts mit den Ermittlungen gegen die zehn Kreuzberger Polizisten zu tun(siehe Seite 21). Im folgenden ein Gespräch mit Rechtsanwalt Martin Rubbert, der viele der geschädigten Vietnamesen vertritt.

taz: Die Ermittlungen gegen Polizeibeamte wegen der Mißhandlung von Vietnamesen scheinen langsam voranzukommen. Sind die 51 Vorfälle immer noch nur die Spitze des Eisbergs oder ist allmählich Grund in Sicht?

Martin Rubbert: Die Dunkelziffer ist nach wie vor sehr groß. Ich vermute, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich weitere betroffene Vietnamesen melden und weitere Verfahren eingeleitet werden.

Wie viele Gedächtnisprotokolle hat „Reistrommel" der Kripo inzwischen ausgehändigt?

Rundgerechnet sind es die 51 Vorgänge, die derzeit ausermittelt werden. Aber es werden wohl noch mehr hinzukommen. Vergangenen Freitag habe ich Unterlagen über einen neuen Vorfall bekommen, der sich Mitte letzter Woche am S-Bahnhof Jannowitzbrücke zugetragen haben soll. Ein Polizeibeamter soll einen Vietnamesen mißhandelt haben.

Demnach haben die Ermittlungen keinerlei abschreckende Wirkung auf die Polizisten?

Nach dem ganzen Presserummel in der letzten Zeit habe ich eigentlich auch gedacht, daß die Vorfälle aufhören würden. Deshalb hat mich der neue Vorfall etwas überrascht. Aber es handelt sich hier wohlgemerkt um einen Fall. Ich weiß nicht, ob die Übergriffe in der gleichen Intensität weitergehen wie vorher.

Sind die Opfer jetzt bereit, sich vernehmen zu lassen? Bislang hatte „Reistrommel“ die Aussagen davon abhängig gemacht, daß die vietnamesischen Zigarettenhändler nicht wegen Steuervergehens verfolgt werden und bis zum Abschluß des Verfahrens eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen.

Die Aussagebereitschaft der Opfer besteht im großen und ganzen. 12 bis 15 Betroffene haben sich bereits vernehmen lassen. Aber mit der Staatsanwaltschaft sind keinerlei Absprachen bezüglich Straffreiheit und Aufenthaltsdauer getroffen worden. Ich habe „Reistrommel“ und meinen Mandanten klargemacht, daß diese Forderungen so nicht erfüllt werden können. Aber wie bei jedem anderen Bagatelldelikt muß die Staatsanwaltschaft selbstverständlich auch hier prüfen, ob die Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt werden.

Haben Sie den Eindruck, daß inzwischen mit mehr Nachdruck ermittelt wird?

Ja, aber zwischen Berlin und Bernau liegen immer noch Welten. Nach Bekanntwerden der Vorfälle in Bernau ist die Brandenburger Polizeispitze sofort für eine bedingungslose Aufklärung der ungeheuerlichen Vorwürfe eingetreten. In Berlin stellt sich Innenstaatssekretär Jäger dagegen in einer Talkshow hin und erklärt sinngemäß: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Diese auch vom Berliner Senat lange Zeit vertretene Meinung hat natürlich auch einen Einfluß auf die Ermittlungen. In Bernau, wo gleich eine Sonderkommission gegründet wurde, wurden die Beamten viel mehr unterstützt als in Berlin. Die aufgrund der Anzeigen von Vietnamesen eingeleiteten Verfahren werden ein Prüfstein für die Polizei und Justiz sein, wie ernst sie es mit Vorwürfen gegen ihren eigenen Apparat nehmen. Interview: Plutonia Plarre