Chor der Konservenbüchsen

Borussia Dortmund – 1860 München 4:0 /Das neue Borussenlied sorgte für Grauen, und die Sechziger peilen die Tabellenführung an  ■ Aus Dortmund Markus Götting

Gnade! Aufhören! Bitte, liebe Borussia, verschone uns! Was haben wir dir getan? Konntest du dich des Avantgarde-Dünkels deiner Südtribünen-Fans nicht erwehren?

Daß in anderen Stadien nach einem Tor auch der Cancan (dieser Tanz mit den fliegenden Röckchen) gespielt wird, ist doch kein Grund, neutrale Beobachter derart zu quälen. Daß ihr statt „Go West“ auch zwei Stunden lang „Olé, Super BVB“ grölen könnt, als habe die Evolution euren Flecken Ruhrpott gemieden, wissen wir schon lange. Aber, diese Geplärre auch noch in Vinyl zu pressen, ist schon eine höhere Form der akustischen Attacke: Wie ein Konservenbüchsenchor kommt euer neues Liedchen daher, und so heftig unterstützt von den Verbal-Orgasmen dieses Stadionsprechers, der in seinem Enthusiasmus die blechern tönenden Lautsprecher zu zerschreien droht, daß jedes weitere Tor mit einer schaurigen Gänsehaut verbunden ist. – Aber nein, die Herren Riedle (43.), Chapuisat (45.), Franck (76.) und Zorc (90.) nehmen keine Rücksicht auf des Chronisten Trommelfell und die Psyche eines Aufsteiger- Trüppchens. Dabei haben eure Fans sie doch noch so willkommen geheißen, die Sechziger. Und was macht ihr? Ihr zeigt denen gleich, wo sie hingehören: Für den Hendl- bratenden Löwen-Präsidenten Wildmoser ist das kein Problem – dem Gesetz der Kontinuität vertrauend, verweist er darauf, in der vergangenen Saison das erste Spiel gleichermaßen mit 0:4 verloren zu haben: „Ein gutes Omen.“

Peilt 1860 also jetzt schon heimlich die Tabellenspitze an? So, wie die siegreiche Borussia vom Emporkömmling ins Schwärmen geriet (Libero Matthias Sammer: „Wir wußten, daß es schwer wird, die haben uns in der ersten Halbzeit alles abverlangt“), mußte man meinen, die Revierkicker hätten soeben ihren hartnäckigsten Konkurrenten mühsam in die Knie gezwungen. Umgekehrt charakterisierte Wildmoser den Dortmund- Ausflug als leichtestes Saisonspiel und war vom rustikalen Einsatzwillen seiner Balltreter, die einmal zeigten, was die „bayerische Art“ ist, überzeugt: „Da baßt scho“, volkstümelte der Gastronom im oberbayerischen Idiom und versprach: „Daheim werden wir einen ganz anderen TSV 1860 erleben.“ Bis dahin, so Trainer Werner Lorant, werde er am Abwehrverhalten arbeiten müssen. Fehler wie gegen Dortmund würden nun mal sofort bestraft. Dies wußte auch Thomas Miller, aber der hatte bei seinem ersten Bundesliga-Auftritt die wohl schwierigste Aufgabe zu lösen: Andreas Möller abmelden.

Letzterer machte seine Ankündigung wahr, kämpfte verbissen und ambitioniert: „Andy hat ein gutes Spiel gemacht“, lobte Trainer Hitzfeld seine 26jährige Neuerwerbung, „aber der kann noch 30 Prozent mehr.“ Streicheleinheiten für das sensible Seelchen, in der Vergangenheit eher als Weichling denunziert oder gar als Memme, wie es Münchens Mega-Macho Hoeneß zu formulieren pflegt.

Der allgegenwärtige Argwohn des rauhen Geschäfts Profifußball hatte womöglich auch positive Aspekte für den WM-Pleite-Buhmann: er konnte kaum etwas falsch machen. Dennoch strotzte Möller, den sie in Dortmund vor drei Jahren noch als Verräter und Judas beschimpft hatten, nicht gerade vor Selbstvertrauen, als er verbissenen Blickes vor Spielbeginn und 42.800 Zuschauern durch das Westfalenstadion trabte; kein Wort zu den kickenden Kollegen, geschweige denn zu Journalisten. Dann aber, nach 74 Minuten hingebungsvoller Pflichterfüllung, verabschiedete er sich vom Rasen, um sogleich in der ganz persönlichen Pressekonferenz sein alter ego hervorzukehren: In Italien habe er sich durchgesetzt (weshalb wollte Turin ihn dann wieder loswerden?), in der Bundesliga schaffe er das auch. Das Publikum, die Freunde – es sei einfach alles so wie früher. Nur der Hersteller der Arbeitskleidung hat gewechselt.

1860 München: Berg - Thomas Schmidt - Wolf (65. Braun), Maurer - Störzenhofecker, Trares (79. Seeliger), Miller, Dowe, Keller - Pacult, Winkler

Zuschauer: 42.800; Tore: 1:0 Riedle (44.), 2:0 Chapuisat (45.), 3:0 Maurer (76./Eigentor), 4:0 Zorc (90.)

Borussia Dortmund: Klos - Sammer - Bodo Schmidt, Kree - Reuter, Zorc, Möller (74. Ricken), Franck, Reinhardt - Riedle, Chapuisat (69. Povlsen)