Werbespots im Soldatensender

■ Das Ende von Radio Wolga - Ein Nachruf auf die wohl unbekannteste Radiostation Deutschlands

Aus den Boxen eines alten Mischpults mit kratzenden Reglern tönen melancholische Melodien, die sofort Mütterchen Rußland assoziieren lassen. „Die Musik ist nicht traurig, sondern poetisch“, sagt Alexander Jakowlew, Chefredakteur der deutschen Redaktion von Radio Wolga. Das Studio, in dem er sitzt, stammt aus der Ära, als die Beatles ihre ersten Platten produzierten.

Doch auch das ist inzwischen Vergangenheit. Der russische Soldatensender Radio Wolga hat aufgehört zu senden. Die Station in Potsdam ist verwaist. Auf der verfallenen, gelben Villa thront noch die überdimensionierte Satellitenschüssel, mit der Radio Wolga sein Programm in den Äther schickte – nur einen Steinwurf entfernt von der Glienicker Brücke, auf der früher noch Ost-West-Realkrimis inszeniert wurden. „Hier entsteht eine voll gewerblich nutzbare Villa“, verheißt ein Bauschild. Das Bundesamt für Vermögensfragen hat die Immobilie abgestoßen.

Am Wochenende haben die letzten Redakteure ihre Arbeitsplätze bei Radio Wolga verlassen. Schon seit einem Monat wird nicht mehr gesendet. Die rund 40 Mitarbeiter gehen alle nach Moskau. Sie bleiben weiter in Diensten des Militärs. Ex-Chefredakteur Alexander Jakowlew ist selbst Soldat, Kapitän zur See. Irgendwann bekam er den Befehl, Journalist zu sein, und wurde Journalist. Eine Ausbildung hat er nie erhalten. In Moskau wartet jetzt eine Arbeit als Redakteur, Reporter oder Pressesprecher auf ihn. „Bis Dezember sollen wir dann auch alle eine Wohnung haben“, sagt der Kommandeur der Radio-Wolga- Truppe, Waleri Prodantschuk, mit einem leicht schelmischen Grinsen. So recht dran glauben tut er nicht.

Radio Wolga war mit der Roten Armee nach Potsdam gekommen. Ähnlich wie der amerikanische Soldatensender AFN oder der britische BFBS versorgte die Station die in der DDR stationierten Truppen mit Musik und Nachrichten aus der Heimat. Gesendet wurde in Russsisch, redaktionell folgte man der von Moskau vorgegebenen Informationspolitik. Doch nach der Wende erwachte Radio Wolga für kurze Zeit zu neuem Leben. Von Oktober 1991 an strahlte es neben dem russischen auch auch ein deutschsprachiges Programm aus. Als einziges alliiertes Radio wandte es sich damit auch an Einheimische. Auf der Langwellenfrequenz 261 kHz konnten sich die Hörer täglich drei Stunden in Russisch und eine Stunde in Deutsch über die West-Truppe der russischen Armee aus erster Hand informieren. Alexander Jakowlew: „Der Abzug der russischen Truppen war ja mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Unser Hauptanliegen war es, die Situation der Militärs zu verbessern und unsere Probleme der deutschen Öffentlichkeit zu erläutern.“

Der Erfolg war eher mäßig. Immerhin bekam Radio Wolga monatlich rund 100 Briefe von Zuhörern aus der Bundesrepublik. Wie viele Deutsche das Programm neben den rund 30.000 russischen Hörern tatsächlich einschalteten, konnte nie ermittelt werden. Auf der unpopulären Langwelle zu senden hatte wenigstens einen Vorteil: Radio Wolga war in der gesamten Bundesrepublik bis in die Beneluxländer zu empfangen.

Gorbatschows Glasnost hatte auch vor Radio Wolga nicht haltgemacht. Kommandeur Waleri Prodantschuk: „Für uns hatte sich dadurch viel verändert. Vor allem gilt das für den Stil unserer journalistischen Arbeit. Die Freiheit des Wortes und die neue Art der Beziehungen zwischen den Menschen machten sich bemerkbar. Viele Themen, die vorher tabu waren, konnten wir jetzt endlich aufgreifen, wir konnten unsere Meinung frei äußern, was vorher nicht so leicht war.“ Seitdem habe es auch keine Zensur mehr gegeben. „Aber jeder Journalist hat schließlich selber einen kleinen Zensor im Kopf“, relativiert Prodantschuk seine eigenen Worte.

In diesem Sinne berichtete Radio Wolga auch über den Putsch im letzten Jahr. Bei der Berichterstattung enthielt man sich weitgehend jeder Parteinahme. „Auch unsere deutschen Hörer dankten uns für die schnelle und objektive Beleuchtung der Ereignisse“, sagt Prodantschuk.

Neben Glasnost hat natürlich auch die Perestroika – die wirtschaftliche Liberalisierung – bei Radio Wolga gegriffen. Bis zum Sendeschluß war die Redaktion noch bereit, in allen ihren Programmen Werbespots unterzubringen. Sven Christian