Aus dem Gefängnis entlassen, aber nicht frei

■ Israelis übergeben 270 gefangene Palästinenser der palästinensischen Polizei

Tel Aviv (taz) – „Die Israelis verfrachten die Leute aus einem kleinen Gefängnis in ein größeres“, kommentierte der Chef der palästinensischen Sicherheitsdienste, Jibril Rajub, die Freilassung von 247 Palästinensern aus isrelischen Gefängnissen am Freitag. Der Grund: Die Entlassenen dürfen nicht zu ihren Familien heimkehren, sondern müssen drei Viertel ihrer noch offenen Strafen unter Aufsicht der palästinensischen Polizei im Selbstverwaltungsgebiet von Jericho absitzen. So steht es in dem zwischen der israelischen Regierung und der PLO geschlossenen Abkommen. Das israelische Militär hat Befehl, aus Jericho Fliehende einzufangen und in israelische Gefängnisse zu stecken. Unter den PalästinenserInnen in der Westbank und im Gaza-Streifen mag über die Freilassung auch deshalb keine Freude aufkommen, weil weiterhin mindestens 5.000 PalästinenserInnen in Internierungslagern und Strafanstalten der israelischen Armee und zivilen Gefängnisverwaltung sitzen.

Da bereits andere solcherart „freigelassene“ Palästinenser in Lagern in Jericho leben, verwandelt sich die Kleinstadt zusehends in eine Art Reservat. Über 800 palästinensische Häftlinge wurden den palästinensischen Polizisten mittlerweile übergeben. Sie leben von Spenden und könnten die palästinensische „Hauptstadt“ in einen gefährlichen Druckkessel verwandeln. Die israelischen Behörden behaupten jedoch, die Palästinenser könnten sich über nichts beklagen. Schließlich geschehe alles wie mit der PLO abgemacht.

Daß dem nicht so ist, belegen unter anderem Hunderte palästinensische Häftlinge in dem Gefängnis von J'neid bei Nablus. Seit einer Woche halten sie Proteststreiks ab. Die israelischen Behörden bestätigten unterdessen, daß sich die Streiks auch auf andere Strafanstalten ausgedehnt haben. Die „nationale und islamische Bewegung in den Gefängnissen der Besatzer“ meldet in einem Flugblatt, daß die Gefangenen ihre bedingungslose Freilassung verlangen. Bisher fordern die Israelis, daß Häftlinge vor ihrer Entlassung ein Papier unterschreiben, in dem sie sich verpflichten, den Friedensprozeß zu unterstützen, und der Gewalt entsagen.

Auch außerhalb der Gefängnisse sollen in dieser Woche Protestaktionen stattfinden. Für heute sind Demonstrationen in verschiedenen Städten geplant, gefolgt von Sit-ins vor den Büros des Internationalen Roten Kreuzes und vor dem Orient-Haus, dem Sitz der PLO in Ost-Jerusalem. In der Westbank kam es am Wochenende zu Zusammenstößen zwischen Besatzungstruppen und Demonstranten, die die Freilassung aller palästinensischen Gefangenen forderten. In Ramallah wurden der 16jährige Khalid Abu Awad erschossen und der 15jährige Bilal Barghuti schwer verletzt. Mindestens sieben PalästinenserInnen wurden angeschossen, darunter eine Mutter mit Kind.

In Gaza erklärte ein Sprecher der islamistischen Hamas-Bewegung, Ismail Hanyieh, der Dialog zwischen seiner Organisation und der palästinensischen Selbstverwaltungsbehörde sei unterbrochen. Als Grund gab er die Verhaftung mehrerer prominenter Hamas-Vertreter durch die palästinensische Polizei an. Die Gespräche können erst wiederaufgenommen werden, wenn der Chef der Autonomieverwaltung, Jassir Arafat, „guten Willen“ an den Tag lege. Amos Wollin