„Bauernland in Bauernhand“

SPD und PDS eröffnen den Brandenburger Landtagswahlkampf / Trotz Scharping volles SPD-Haus / Regine Hildebrandt stiehlt allen die Show / Parteichef Bisky bremst PDS-Euphorie  ■ Von Christoph Seils

Der Kanzlerkandidat hatte sich artig vorbereitet. Wer im Osten der PDS die Stimmen abjagen will, muß über das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ reden und über das „Rentenstrafrecht“. Darüber hinaus muß er den Ostdeutschen „Achtung“ und „Respekt“ zollen und ihnen das Recht auf eine „eigene Biographie“ zugestehen. Der „folgenlosen Opposition“ der PDS stellt Rudolf Scharping schließlich seinen „Willen zur Veränderung“ entgegen. Wer im Osten Wahlen gewinnen will, darf auch nicht mit dem Bundeskanzler schmusen. „Das ist ein Schlag gegen die Würde der arbeitenden Menschen, das muß verhindert werden“, kommentiert Rudolf Scharping die Pläne der Bundesregierung, die Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre zu begrenzen. Der Zuhörer ahnt, daß der Redner für diese Kampfansage seinen ganzen Mut zusammengenommen hat, und verzeiht so auch, daß sich der Herausforderer am Rednerpult festhält und kaum die Stimme hebt. Aber ob er so die Schwankenden überzeugen kann, daß bei ihm mehr als eine folgenlose Politik herauskommt?

Doch um dem gequälten Applaus ein Ende zu bereiten, tritt schnell Regine Hildebrandt ans Mikrophon. Bevor sie ein Wort sagt, bricht unter den Zuhörern Jubel aus. Brandenburgs Arbeits- und Sozialministerin hat hier ein Heimspiel. „Jetzt kommt noch mal die Wiederholung für die Landbevölkerung“, ruft sie den Zuhörern zu. „Ich werde Ihnen das noch mal erklären, was Rudolf Scharping gesagt hat.“ Regine Hildebrandt weiß, wie man hier mit den Menschen redet, und es macht ihr sichtlich Spaß, dies dem Gast vom Rhein vorzuführen. Wenn der Waigel die Arbeitslosenhilfe streiche und die Betroffenen dann auf Sozialhilfe angewiesen seien, dann sei das, als ob im Zirkus die halbe Trapeztruppe im Netz zappele. „Da muß bei Ihnen die rote Lampe angehen.“ Regine Hildebrandt redet mit Händen und Füßen, hat die Zuhörer fest im Griff. „Haben Sie das kapiert?“ – „Ja“, hallt die spontane Antwort vom Platz zurück.

„Sie sollen für uns agitieren“, ermutigt sie ihre Anhänger. „Sagen Sie es Ihren Nachbarn und auch Ihren Kollegen weiter ...“ Kurz stockt Regine Hildebrandt und fügt dann hinzu: „... wenn Sie noch Arbeit haben.“ Während das ostdeutsche Wahlvolk tobt, steht der Kanzlerkandidat mit zunächst bittersüßer Miene am Rande der Bühne und spendet etwas mühsam Beifall. Doch dann muß Rudolf Scharping klargeworden sein, daß er ohne die beiden Brandenburger Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt im Osten wirklich alt aussehen würde. Schließlich lacht er mit und schließt Regine Hildebrandt nach ihrer Rede in die Arme.

Auch Manfred Stolpe findet dann noch kräftige Worte. Spricht von den „Todsünden der deutschen Einheit“, verspricht, den „Mietwucher“ zu bekämpfen, und fordert „Bauernland in Bauernhand“. Die SPD-Anhänger sind zufrieden, und während die Parteiführung wieder abbraust, wenden sie sich wieder dem Potsdamer Bier und den Spreewälder Gurken zu, um auf die Puhdys zu warten.

Drei Wochen vor den Landtagswahlen am 11. September eröffnen SPD und PDS am Samstag in Potsdam mit Sommerfesten ihren Wahlkampf. „Trotz Rudolf Scharping“, so spotten einige Stolpe- und Hildebrandt-Fans, ist der Luisenplatz gut gefüllt. Über 25.000 Menschen zählt die SPD über den Tag. Niemand zweifelt in Brandenburg an einem SPD-Wahlsieg. Für Manfred Stolpe geht es um die absolute Mehrheit. Dem Bündnis 90/Die Grünen macht der Vorsitzende der Bündnisfraktion im Landtag, Günter Nooke, mit einem konservativen Ableger, dem „BürgerBündnis“, Konkurrenz. Scheitern FDP und Grüne an der Fünfprozenthürde, könnten dem Ministerpräsidenten schon 42 oder 43 Prozent der Stimmen die absolute Mandatsmehrheit bescheren.

Zur selben Zeit, zu der Hildebrandt und Stolpe die Innenstadt Potsdams fest im Griff haben, treffen sich rund 10.000 Anhänger der PDS im Strandbad des Stadtteils Babelsberg. Ostprodukte hat natürlich auch die PDS zu bieten, aber sonst geht es an der Havel familiärer zu. Statt auf Reden von der großen Bühne setzen die demokratischen Sozialisten neudeutsch auf die Talkrunde, und während der Liedermacher Arno Schmidt von den sich ändernden Zeiten singt, mischen sich die Promis unter die Gäste.

Doch die Popularität von Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt macht Lothar Bisky zu schaffen. „Wir wollen unsere Position im Landtag behaupten“, versucht er die um sich greifende Euphorie unter PDS-Mitgliedern zu bremsen. Jedes Ergebnis über den 13,4 Prozent von 1990 ist für den Potsdamer PDS-Bundesvorsitzenden ein positives Signal. Daß sich die SPD jetzt als ostdeutsche Interessenvertretung zu profilieren versuche, sei Ergebnis der Wahlerfolge der PDS. Von einer folgenlosen Opposition könne also überhaupt keine Rede sein. Aber, so Bisky, die Kritik der SPD am Einigungsprozeß sei unglaubwürdig, denn in Bonn habe die SPD allen entsprechenden Regelungen zugestimmt.

Trotzdem bleibt die Kampfansage an Stolpe und Hildebrandt moderat: „Die Landesregierung hat ihre Chancen nicht ausgenutzt.“ Bei der besseren Chancenausnutzung will die PDS zukünftig helfen und das Brandenburger PDS-Prinzip aus „klammheimlicher Tolerierung“ der Stolpe Regierung und „knallharter Opposition“ auch nach den Landtagswahlen fortsetzen. Richtig loslegen wollen die Genossen bei den Bundestagswahlen. Am 16. Oktober streben sie in Brandenburg 25 Prozent an und sind froh, daß ihnen die rote Regine dann nicht mehr die Show stehlen kann.