Zweimal Freispruch in einer halben Stunde

■ Unbezahlter Wein und üble Verdächtigungen: Ein kurzer Vormittag im Amtsgericht

Die Prozeßliste der Gerichtspressestelle lockte die sommerlochgequälte Journaille gestern ins Amtsgericht Wandsbek. 10 Uhr. Der Terminplan hat sich verzögert, Frau R. sitzt noch vorn. Ohne Anwalt, dafür liebevoll begleitet von ihrem neuen Ehemann, mußte sich die Mittvierzigerin wegen versuchten Betruges verantworten. Sie habe 24 Weinflaschen der Weinhandlung P. geordert, so die Anklage, obwohl sie nicht in der Lage war, die Rechnung zu begleichen.

Wie ihre finanziellen Verhältnisse wären, wollte die Richterin zuerst wissen. Gut, anwortet die Angeklagte. Sie ist ja wieder verheiratet. Ihr neuer Gatte hat den Wein inzwischen längst bezahlt. Und daß sich die Zahlung verzögerte, habe daran gelegen, daß sie damals andere Sorgen hatte, „weil mein geschiedener Mann meine Tochter vergewaltigt hat“. Überhaupt sei es ja etwas merkwürdig, wegen der Vergewaltigung habe sich das Gericht nicht gerührt, aber wegen der paar Weinflaschen stehe sie jetzt hier.

Darauf die Staatsanwältin: „Das gehört aber nicht hierher“. Der Ehemann: „Oh doch, das muß man im Zusammenhang sehen“. Staatsanwältin wie Richterin räumen schließlich kleinlaut ein, daß „gewisse familiäre Turbulenzen“ die Zahlungsverzögerung entschuldbar machen. Freispruch.

10 Uhr 15, nächster Fall. Der arbeitslose Maler L. ist der „falschen Verdächtigung“ angeklagt. Er soll vor einem Jahr im Sozialamt Rahlstedt angerufen und behauptet haben, die Hilfeempfängerin G. sei Alkoholikerin und erhalte von ihrem Ex-Mann 2000 Mark.

„Ich hab's nicht getan“, sagte der Angeklagte. Lediglich, daß sie Alkoholikerin, das könne er... Mit einer groben Handbewegung gebietet ihm sein Anwalt zu schweigen: „Er war es nicht. Er hat nicht dort angerufen.“ Der Verteidiger hatte offenbar die Akte gründlich studiert und wußte, daß die Anklage wacklig war. So konnte sich denn der einzige Belastungszeuge, der Sachbarbeiter K., kaum noch an das besagte Telefonat erinnern: „Sie müssen entschuldigen, Frau Richterin, ich hatte damals 120 Fälle.“ Zwar habe er den Anrufer nach Name und Telefonnummer gefragt, doch die Echtheit der Angaben nicht per Rückruf überprüft. „Es könnte also sein, daß jemand Drittes den Anruf vergetäuscht hat, um beiden zu schaden“, schlußfolgert siegesgewiß der Verteidiger.

Bei der Vernehmung des Sachbearbeiters, der heute, „zum Glück“ wie er sagt, keiner mehr ist, wurde deutlich, daß es nicht sein Interesse war, den Hinweisgeber zu belasten. Frau G. habe die Vorwürfe abgestritten und gesagt, sie wolle sich dagegen wehren. Weitere Nachforschungen habe er nicht anstellen können, weil ihm als Sachbearbeiter „die Hände gebunden“ seien. „Die Politik will es so“.

Erst sein Nachfolger nahm vier Monate später das Ansinnen von Frau G. ernst und stellte Strafantrag gegen L. Doch hier endet der Ausschnitt von Sozialamtsalltag, den das Gericht interessiert. Freispruch für L. Die Zeugin G. - blaß, mager, zornig - wurde nur hinein gerufen, um zu erfahren, daß man sie nicht braucht. Schade, das Publikum hätte sie gerne gehört. Kaija Kutter