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Todkranker Häftling in Fesseln

■ Aids-kranker Strafgefangener: Auf 35 Kilo abgemagert, aber wegen „Fluchtgefahr“ rund um die Uhr festgebunden Von Sannah Koch

Frank Rönpage hat Aids im Endstadium. Der 33jährige Mann ist auf 35 Kilo abgemagert und erlitt am Freitag einen Kollaps wegen Nierenfunktionsstörungen. „Er möchte sich nur noch in Ruhe aufs Sterben vorbereiten“, sagt seine Schwester Petra Kurz (Name geändert). Aber man läßt ihn nicht: Statt dessen verbringt er seine letzten Tage und Nächte mit Händen und Füßen an Bett, Heizung oder Rollstuhl gefesselt. Frank Rönpage ist Strafgefangener.

„Eine Fortsetzung der Vollstreckung ist gegeignet, die Lebenserwartung des Gefangenen nachweisbar erheblich zu verkürzen“, hatten die Ärzte des Bernhard-Nocht-Instituts, in dessen Klinik sich der Gefangene derzeit befindet, Anfang August in einem Gutachten an die Staatsanwaltschaft in Lübeck geschrieben. Und: „An einer derzeitigen Haftunfähigkeit ist nicht zu zweifeln.“

Doch die Lübecker Behörde tut sich mit einer Aussetzung der Haft schwer. Rönpage war dort wegen schweren Raubs verurteilt worden, zwei weitere Verfahren wurden wegen seiner Krankheit aufgeschoben. „Für die Haftuntauglichkeit ist nicht nur der Gesundheitszustand wichtig, sondern auch unsere Einschätzung, welche öffentliche Gefahr von ihm ausgeht“, erklärte gestern der Lübecker Staatsanwalt Jürgen Biel auf Anfrage. Laut Gesetz sei eine Voraussetzung für die Haftunfähigkeit, daß „von der Vollstreckung Lebensgefahr zu erwarten ist“. Das werde momentan geprüft. Wie lange noch? Ein weiteres medizinisches Gutachten sei in einigen Wochen fertig – „wir haben da wenig kalte Füße, weil sich Rönpage ja in Behandlung befindet“, so Biel.

„Er ist in einem jämmerlichen und erbarmungswürdigen Zustand“, sagt Petra über ihren Bruder. Ihr Anwalt hat nun Beschwerde gegen die Haftbedingungen eingereicht. „Frank ist so schwach, der kommt nicht einmal die Treppe herunter.“ Trotzdem ist er immer an Händen oder Füßen gefesselt, wenn der Vollzugsbeamte das Krankenzimmer verläßt, sogar doppelt. Dies bestätigte auch Jürgen Weinert, Sprecher der Hamburger Justizbehörde. Eine Anordnung des Leiters der Hamburger Vollzugsanstalt – wegen der Schwere der Delikte und weil Rönpage im Dezember 1993 bereits einmal aus dem Bernhard-Nocht-Institut geflohen war. „Da war er aber noch nicht so furchtbar krank wie heute“, wehrt sein Schwester ab.

Am vergangenen Samstag hatte sie versucht, ein Foto von ihrem Bruder zu machen, doch der Vollzugsbeamte nahm ihr die Kamera ab. Nun hat sie Angst, daß ihr auch noch ein Besuchsverbot droht. Ziemlich sicher ist, das Frank Rönpage das Ende seiner Haftstrafe (März 1997) nicht mehr erlebt. „Ein Moment, der bei der Beurteilung der Haftunfähigkeit sicher eine Rolle spielen wird“, wie die Lübecker Staatsanwaltschaft einräumt. Sollte sie aber trotzdem hart bleiben, kann Rönpage nur auf ein Gnadenverfahren hoffen. Wenn dazu noch Zeit bleibt.

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