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■ Kein Prozeß um den Unfall der TV-Moderatorin GardenMedienschlacht um schöne Leiche

Dresden (taz)–Henry Wiczorek, der „Todesfahrer von Antje Garden“, werde sich „wahrscheinlich nicht mehr“ vor Gericht verantworten müssen, vermeldete die dpa das vorläufige Ende eines Justizspektakels. Seit Hörfunk-Journalist Wiczorek am 19. Mai 1993 mit TV-Moderatorin Antje Garden nach einer durchzechten Nacht im Auto verunglückte, waren selbst seriöse Medien dem Reiz des Falles erlegen, der mit Promis, Erotik und einer schönen Leiche Auflage garantierte.

Selbst Richter Martin Schultze- Griebler, 34, am Amtsgericht Dresden für diesen tödlichen Verkehrsunfall eigentlich nicht zuständig, wurde schwach. Er zog das Verfahren gegen W. an sich, um, wie er Kollegen gestand, „auch mal meine Meriten“ zu verdienen. Anwalt Ernst Fricke hatte schon im Herbst erkannt, daß W. aufgrund der Unfallverletzungen auf absehbare Zeit nicht verhandlungsfähig sein würde. Ein vom Amtsgericht beauftragter Gutachter dagegen stellte nach einem Telefonat mit dem behandelnden Arzt fest, W. könne durchaus drei Stunden täglich einer Verhandlung folgen. Daraufhin wurde das Verfahren im Juli eröffnet. Daß W. zu dieser Zeit gerade seine zehnte Hüftoperation hinter sich haben würde, focht den Richter nicht an. Ob er auf einen Strahl vom Licht der Öffentlichkeit hoffte, das der Nebenkläger Hanns-Ekkehard Plöger in den betulichen Amtsgerichtsmief nach Dresden bringen würde? Plöger, im Honecker-Prozeß durch die Behauptung, im Körper des einstigen Staatsratsvorsitzenden täusche ein betrügerischer Bandwurm Leberkrebs vor, bekanntgeworden, vertritt die Familie von Antje Garden. Er lockte mit verbalen Tiefschlägen („Wenn W. heute nicht die Hosen runterläßt, mach' ich ihn eigenhändig fertig“) allerhand Medienvolk in den Gerichtssaal. Vornehmlich solches, das W. nur zu gern als Paradebeispiel für „Böser Wessi tötet schöne Ossi“- Klischees feierte. Dabei ist BMW- Fahrer W. gebürtiger Sachse, 1986 aus DDR-Haft in den Westen freigekauft und gleich 1990 zum Aufbau zurückgekehrt in die Heimat. Davon steht nichts in den Blättern. Wohl aber, daß Plöger auf dem Gerichtsflur spekulierte, der Angeklagte drücke sich durch „vorprogrammierte Operationen“ vor dem Prozeß. Als W. nach einer der ersten Hüftoperationen an seinen Krücken stürzte, sich das Handgelenk brach und wieder in den OP mußte, meinte Plöger nur: „Wenn man einen Prozeß vor sich hat, paßt man doch besser auf.“

Was Wunder, daß die Öffentlichkeit mit den durch Homestorys hinreichend bekannten Garden- Hinterbliebenen leidet und W. für einen kaltschnäuzigen Simulanten halten muß. Insbesondere als der Angeklagte zur Verhandlung im Juli nicht erschien, lamentierten die Zeitungen „Todesfahrer ließ Prozeß platzen“. Dieser Meinung war offenbar auch seine Chefin. Die in Hamburg gescheiterte und in Dresden zur Funkhausdirektorin avancierte Ulrike Wolf jedenfalls soll dem bettlägerigen Mitarbeiter noch am selben Tag mitgeteilt haben, er sei aufgrund der verheerenden Presseberichte „für den MDR nicht mehr tragbar“. Die „Wölfin“ hatte W.s Posten jedoch schon zu Jahresbeginn neu besetzt.

In der Hauptverhandlung, in der derselbe Amtsarzt wie im Frühjahr – nach einer echten Untersuchung – W.s Verhandlungsunfähigkeit feststellte, muß Richter Schultze-Griebler sich an Artikel 1 des Grundgesetzes erinnert haben. Er setzte die Verhandlung mit Rücksicht auf W.s Menschenwürde aus. Der Strafbefehl ist erlassen. Die Sudelblätter suchen neue Sex-and-Crime-Geschichten, Schultze-Griebler einen anderen Fall, in dem er seine Meriten verdienen kann. Christina Hanewald

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