„Das ganze Konzept ist fragwürdig“

■ Wer als Nothelfer nach Ruanda reisen sollte und wer besser nicht

Dr. Pitt Reitmaier ist Arzt für Allgemein- und Tropenmedizin mit langjähriger Afrikaerfahrung. Er leitet den Aufbaustudiengang „Community Health and Health Management in Developing Countries“ an der Universität Heidelberg

taz: Sind Sie überrascht, daß die ersten Care-Helfer zurück wollen?

Dr. Pitt Reitmeier: Nein. Der Streß für jemanden, der dort erste Dritte-Welt-Erfahrung und erste Katastrophenerfahrung macht, ist kaum auszuhalten.

Was sind denn Grundvoraussetzungen für Leute, die in Situationen wie in Ruanda helfen wollen?

Grundvoraussetzungen gibt es keine. Es gibt Leute, die können sich unheimlich schnell anpassen und andere, die können das in Jahren nicht. Aber es ist sinnvoll, Dritte-Welt-Erfahrungen zu haben und die notwendigen planerischen und medizinischen Kenntnisse.

Welche Qualifikationen müssen Helfer unbedingt haben?

Ich frage mich, ob kurative Medizin unter den gegebenen Bedingungen als die erfolgversprechendste Maßnahme angesehen werden kann. Wasserver- und -entsorgung, Ernährung in minimaler Quantität und hygienischer Qualität und damit verbundene Logistik sind mindestens gleichwertig. Natürlich werden auch kurative Leistungen benötigt. Der beste Mediziner in solchen Situationen ist derjenige, der gelernt hat, mit geringen Ressourcen auszukommen.

Welche Rolle spielen Sprachkenntnisse? Bei der Care-Aktion ist nicht darauf geachtet worden, ob die Helfer Französisch können.

Sprachkompetenz ist eine wesentliche Voraussetzung für Diagnostik und Interaktion mit Patienten. Nur mit Sprachkenntnissen ist man auch in der Lage, Personen unter den Betroffenen selbst auszumachen, die zur Linderung der Situation beitragen können. Wer sagt denn, daß unter den Flüchtlingen kein Gesundheitspersonal ist?

Glauben sie, daß in 14 Tagen sinnvolle Hilfe möglich ist?

Nein. Der Anpassungsvorgang dauert einfach länger. Ich halte das ganze Konzept für fragwürdig: rein medizinisches Personal für kurze Zeit ohne Vorkenntnisse und ohne mögliche Anpassung in so großer Zahl auszusenden.

Care will so weitermachen wie geplant. Ist das verantwortbar?

Eigentlich ist es vermessen, hier zu sitzen und zu sagen, ich finde etwas, das andere tun, falsch. Auch die Organisatoren haben sicher nicht erwartet, daß die Aktion überragenden Erfolg in der Verminderung des Elends haben kann. Wenn es ihnen gelänge, einen Teil davon zu vermindern, wer würde an der Rechtfertigung zu zweifeln wagen?

Wenn Sie Hilfe für Ruanda planen sollten, was würden sie tun?

Ich würde möglichst einheimische Kräfte suchen. Der Norden ist mit seiner Logistik so stark, daß er unverhältnismäßig teure Dinge tun kann. Für die Zukunft sollten jedoch regionale Organisationen entstehen, die mit der finanziellen Unterstützung des Nordens in der Region erfahrenes Personal und angepaßte Konzepte bereithalten können. Ich halte es für vermessen, von europäischen Schreibtischen aus Ratschläge für Goma zu geben. Aber es scheint sinnvoll, Konsequenzen zu ziehen und Katastrophenhilfe in Zukunft zu regionalisieren. Interview: Thomas Dreger