Gefangen in der Einbauküche

■ Rothenburgsorter Bernd Begemann stellt heute seine CD „Solange die Rasenmäher singen“ vor

Der Blick zurück in die Jugend aus der Distanz des Alters ist schwierig. Der Positionen gibt es meist nur zwei: Hemmungslos überfrachtete Schwelgerei aus den Augen heute Desillusionierter oder aber aus der Distanz geborene, sezierende Zeitanalyse. Ein Dazwischen gibt es nicht. Das gilt leider auch für die deutsche Musikkritik.

Dem Rothenburgsorter Liedermacher Bernd Begemann und seiner neuen Platte Solange die Rasenmäher singen wirft man daher einiges vor: Als ein Mann des Gefühls verlören sich seine Schilderungen von Jugend und Kindheit in „trostlosen, begriffsleeren Beschreibungen der Adoleszenz-Zeit“ und im „SPD-Wahlkampf und dem sicheren Glück der Vergangenheiten“ (Spex 7/94). Auch die Szene Hamburg stellt fest, daß Bernd Begemann der „von Erwachsenen aufgestellten Maxime, die Kindheit wäre die schönste Zeit des Lebens“, anheimfällt. Doch so einfach ist es nicht.

Denn Begemann, in Systemkritik und Soziologie unbewandert, geht es weder um hinterherweinende Glorifizierung noch ganz einfach um das Eintreten für das etwaige Dissidenz-Vakuum dessen, was man den „guten alten Popsong“ nennt. Begemann, in der Tat ein Meister im Formulieren von Gefühligkeit, geht es um das fotografische Festhalten von Momenten in der Vergangenheit, die für uns noch heute von einer undefinierten Bedeutsamkeit sind. Die Augenblicke grundloser, leerer jugendlicher Euphorie, die sich in ziellosem nächtlichen Herumfahren mit Papis Auto und „dem frischen Führerschein“ (in 'Bist Du Dabei') manifestieren, im unglücklichen Verliebtsein in das Mädchen aus der Oberstufe, das einen niemals wollte ('Sie blieb niemals stehen'), oder dem stillen Verharren in der Einbauküche der Eltern ('Gefangen an einem Samstagnachmittag').

Die unbestimmte Suche nach einer Ahnung von Freiheit, die bis dahin durch den Konsum von James-Dean-Filmen, Rockpalast-Sendungen, Zigarettenwerbung oder dem Lesen der Bravo geprägt war. So findet sich beispielsweise in dem Stück „Die Verlassenen“, in seiner Ambivalenz zwischen beleidigtem Narzißmus und berechtigter Verzweifelung aufs Vortrefflichste formuliert, das Donnergrollen der Apokalypse wieder, mit der sich jede(r) Beziehungsgestörte nur zu gern umgibt. Das ist lebensnah und wahr. Und weil Begemann die Enge zwischen Staat und Individuum nicht selbstreflektiv und systemanalytisch beschreibt, sondern im Bild der „deutschen Straße“, wo man entweder „seinen Spaß“ haben soll oder „seinen Fraß fressen“, mißversteht man ihn als konformen Anwalt der Bürgerlichkeit.

Die wahren Kritikpunkte indes werden übersehen: Die oft störende Zerrissenheit Begemanns zwischen Mitleid und Verachtung für Hans-Meiser-Gucker und Paare, die sich mit „Geliebten zweiter Wahl“ zufriedengeben und das leidliche Fazit, daß Bernd am Ende immer seelischer – glückliche Beziehung, bester Sex – und moralischer – Leben kapiert – Sieger bleiben muß. Weil er derartige Selbstverliebtheit aber auch im Leben präsentiert, sollten damit zumindest diejenigen zufriedengestellt sein, die nach möglichst großer Authentizität zwischen Künstler und Mensch Begemann heischen. Naja, und selbst für die Theoretiker gibt es am Ende noch Hoffnung: Aus verläßlicher Quelle erfährt man, daß sich Bernd in letzter Zeit öfter mal nach Soziologiestudenten umschaut, um sich für zwei Bier Systemtheorie erklären zu lassen. Ich hoffe nur, daß das keine Kapitulation ist, denn den Beweis, daß Liebeslieder auch auf deutsch funktionieren, erbringt im Moment kaum ein anderer. Marc Fischer

BB: „Solange die Rasenmäher singen“ (Rothenburgsort Records/EFA) BB live, heute und morgen, 20.30 Uhr, Summertime-Festival, SchlapplacHHalde, Rentzelstr. 17