„Zur Verteidigung der Rechtsordnung“

■ Wie Amtsrichter Nils Graue im Trüben des Ausländerrechts taucht

„Sie haben es geschafft – und das spricht für Sie – eine deutsche Staatsangehörige zu heiraten.“ Zynismus schwingt in des Amtsrichters Stimme, als er das Urteil gegen den 29jährigen indischen Flüchtling Mohinder Singh-Keres verkündet. Der Vorwurf: „llegaler Aufenthalt“. Dazu Amtsrichter Nils Graue: „Sie sind aus allen anderen Gründen hier, aber nicht, weil sie politisch verfolgt werden.“

Doch die gestrige Beweisaufnahme ergab zuvor eine ganz andere Biografie. Danach ist Singh-Keres 1986 nach Deutschland geflüchtet, weil er als Oppositioneller in Indien von der Polizei wegen angeblicher Gewalttaten an Mitgliedern der regierenden Kongreß-Partei verfolgt wird. Zwei Verwandte hatte die Polizei bereits bei lebendigem Leibe verbrannt.

In der Bundesrepublik beginnt die typische Karriere eines Flüchtlings. Asylantrag, Ablehnung, Gericht, Ausweisung. Asylfolgeantrag, Ablehnung, Ausweisung. Ausreise in die Schweiz, zurück nach Deutschland. Asylantrag. Ablehnung, Ausweisung. Wieder Ausreise nach Holland. Zurück nach Hamburg.

Bis zum November 1990 laviert sich der Inder so durchs Leben, bis er vom Polizeibeamten Heinz B. in einem Restaurant am Steindamm aufgespürt wird, wo Singh-Keres zu dieser Zeit illegal arbeitet.

Der Polizist wollte den Inder nur vor seiner Stieftochter Katja warnen: Diese hatte Mohinder Singh-Keres versprochen, ihn für Geld zu heiraten, war aber für ihre „Unzuverlässigkeit“ bekannt. Zur Eheschließung kam es tatsächlich nicht, aber durch diese Episode wird dann letzlich bekannt, daß sich der Inder illegal in Deutschland aufhält. Auch daß Singh-Keres im Januar 1991 am Steindamm einen Anwalt aufsucht, um einen Asylfolgenatrag zu stellen, wird nun gegen ihn verwendet. Singh-Keres beteuert: „Ich bin hierher gekommen, um meinen Anwalt aufzusuchen, dann bin ich zurück in die Schweiz.“ Graue resümiert nüchtern: „Sie sind also illegal ohne Visa eingereist.“

Für den Amstrichter steht daher fest, daß Mohinder sich mindestens zwei Monate illegal in Deutschland aufgehalten hat. Auf Vorschlag des Verteidigers, das Verfahren wie in anderen Fällen wegen Geringfügigkeit gegen eine Geldbuße einzustellen, winkt Graue lässig ab: „Wenn erst einmal etwas bei diesem Gericht gelandet ist, wird nichts mehr eingestellt.“ Graues Richterspruch: Drei Monate Knast auf Bewährung aus Gründen der „Generalprävention“ um dem Ausländerrecht Wirkung zu verschaffen und „zur Verteidigung der Rechtsordnung“. O-Ton Graue: „Das Urteil soll abschreckende Wirkung auf andere haben.“ Und: Zusätzlich 600 Mark Geldbuße. „Damit sie hier nicht ganz unbeschadet den Gerichtssaal verlassen.“ Denn eine Abschiebung liegt nicht drin. Mohinder Singh-Keres ist seit 1992 mit einer Deutschen verheiratet und hat eine Aufenthaltserlaubnis. Graues zerknirschte Anmerkung: „Stimmt das, daß die schon das fünfte Mal mit einem Ausländer verheiratet ist? Steht zumindest so in der Akte...“

Kai von Appen