Stumme Gestalten im „Waller Gespräch“

■ Auf die Plätze (6): Heiße Reden lassen Waller BürgerInnen kalt

Völlig unbeeindruckt vom Verkehrslärm stehen in Walle sechs Gestalten direkt neben einer großen Kreuzung und erzählen sich was. Während der Verkehr fließt und stockt und fließt und stockt, gibt es in ihrem Gespräch keine Unterbrechung. Manche sind laut, andere eher ruhig, einige sogar schweigsam, aber alle sind konzentriert auf das, was sie tun. Zugegeben, die Sechs sind aus Bronze, aber daß der ungemütliche Ort nicht alle zum Verstummen bringt, ist erstaunlich.

So heißt die Figurengruppe der Künstler Jan Irps und Bernd Altenstein denn auch „Waller Gespräch“. Symmetrisch im Kreis angeordnet, sind die sechs Gestalten einander zugewandt, hören zu und erzählen. Am eifrigsten ist der mit der Maske. Mit erhobenem Zeigefinger redet der „Demagoge“ auf sein Gegenüber ein. Hinter seiner leutseligen Weihnachtsmannmaske verbirgt sich ein glattes, kaltes Gesicht. Ob die „Beobachterin“ von gegenüber ihn durchschaut, oder ihm jedes Wort glaubt? Ganz ruhig und ausdruckslos steht sie da mit dem weiten Mantel und der Brille. Nur das Kneten der Finger verrät, daß sie nicht so ruhig ist, wie sie scheint. Vielleicht kann sie die ewig gleichen Reden auch einfach nicht mehr hören.

Völlig verunsichert ist dagegen der „Arbeiter“ zu ihrer Rechten. Ein Ohr und ein Auge hält er sich zu. Toll, wie der „Demagoge“ reden kann! Mit vorgerecktem Kopf schielt er mit seinem offenen Auge zum Agitator und lauscht ehrfürchtig. Wenn die richtigen Sätze fallen, dann ist er überzeugt. Noch zweifelt er.

Gänzlich uninteressiert an der Politik sind dagegen zwei Frauen, die sich gegenüberstehen. Sie kennen und ergänzen sich, weil die eine hat, was die andere braucht. Die „Fischverkäuferin“ preist lauthals ihre Ware an, sie ist als einzige in der Gruppe richtig in Bewegung. Ihr Job fordert ganzen Einsatz, die Frisur löst sich bereits auf und im Eifer des Gefechtes kann es schon mal passieren, daß sie Einblicke ins Dekolleté gewährt, die nicht ganz jugendfrei sind.

Das wiederum könnte ihrer Kundin, der „Hausfrau“ nie passieren. Die letzte Dauerwelle ist noch nicht lange her, jedes Löckchen sitzt auf seinem Plätzchen – drei Zentimeter über dem Kragen. Auch da hat alles seine Ordnung, Blusen- und Mantelkragen kommen sich nicht ins Gehege, beide sind akkurat hochgestellt, die Kragenspitzen dagegen schön flach auf die Brust gedrückt. Ob wohl die Heringspreise wieder gestiegen sind? Schließlich muß sie gut wirtschaften mit ihrer kleinen Rente.

Der Letzte in der Runde, ein „Jüngling“, demonstriert überdeutlich, daß ihn das alles gar nicht interessiert. Und damit es auch wirklich alle merken, werden die Insignien der jungen strotzenden Männlichkeit aufs Genaueste inszeniert. Fluppe cool im Mundwinkel, dem Weihnachtsmann zu seiner Linken die kalte Schulter gezeigt und die Hände lässig auf dem Rücken verschränkt – so zeigt mann den Kleinbürgern, was er von ihnen hält. Nämlich nichts. Aber er verweilt gnädigerweise noch ein bißchen in der Runde, denn das Gezeter hat immerhin einen gewissen Unterhaltungswert.

Ansonsten passiert ja auch nicht viel auf dem Platz. Den Autos hinterherzugucken wird ziemlich schnell langweilig und zu Besuch kommt selten jemand, obwohl da Bänke stehen. Denen ist es wohl zu laut hier an der Kreuzung. Nur die Männer mit den Bierdosen, die kommen regelmäßig. Aber wenn die so richtig in Fahrt sind, machen sie soviel Krach, daß man sein eigenes Wort nicht mehr versteht und dann kommen die grün-beigen Männer und bringen sie weg. Das Revier liegt praktischerweise gleich hinter den Büschen.

Obwohl das für die PolizistInnen eine enorme Arbeitserleichterung ist, sind die sechs Gesprächigen auf dem Revier nicht besonders beliebt. Vielleicht liegt es daran, daß ein Teil des Polizeiparkplatzes dem „Waller Gespräch“ zum Opfer fiel. Jedenfalls heißen sie auf der Wache nur „Die sechs Arbeitslosen“, weil sie angeblich wie Falschgeld in der Gegend rumstehen. Da kann man mal wieder sehen, die wohnen nun schon 13 Jahre sozusagen Tür an Tür und wissen nichts voneinander. Gudrun Kaatz