Er gab den Ameisen seinen Namen

■ Und war außerdem Kaufmann, Philologe, Literat: Bremen entdeckt Hans Overbeck

Fragt man in Bremen nach „dem Overbeck“, denken alle an den Fritz. Fritz, den Maler, dereinst Mitglied der Worpsweder Künstlerkolonie. Den Overbecker Hans dagegen kennt kaum noch jemand. Anders in Australien. Da sind ganze Ameisenvölker nach ihm benannt, die „Overbeckii“. Sie erst haben Bremen jetzt dazu gebracht, dem etwas anderen Overbecker hinterherzuforschen.

Denn da ist man doch auch hier in Bremen stutzig geworden, als R.W. Taylor, Entomologe, also Insektenforscher in Canberra, sich bei Bürgermeister Wedemeier nach dem Ameisensammler Hans Overbeck erkundigte. Man hatte ihn hier immer für einen Kaufmann gehalten. So jedenfalls berichtete es Hans Overbecks hier lebender Neffe, der den selben Namen trägt und von Wedemeier im Telefonbuch gefunden wurde. Der Neffe wußte vom Onkel, daß dieser mit 22 Jahren, 1902, für die Firma Behn, Meyer und Co. als Prokurist nach Ostasien gegangen war, im ersten Weltkrieg in Australien interniert war und 1942 beim Untergang des Gefangenenschiffes „Van Imhoff“ ums Leben kam. Und auch dem Neffen war sein Patenonkel als typisch-bremisch biederer, fleißiger Handelsvertreter überliefert worden. Der Welt jenseits des europäischen Kontinents aber begegnete darüberhinaus ein Wissenschaftler, ein Gelehrter, wie es ihn heute nicht mehr gibt. Hans Overbeck war, salopp gesagt, ein Hansdampf in allen Gassen.

Letztes Wochenende nun trugen weitangereiste ForscherInnen „ihre Overbecker“ an der Bremer Uni zusammen. Sie mußten alle ihre Paper ändern. Da hatte dann eben nicht nur R.W. Taylor vom Insektenforscher zu erzählen; da wußte der Linguistiker Ulrich Kratz aus London Overbecks feinfühlige Übersetzungen aus dem Malaiischen zu loben und Anwar Ridhwan (Kuala Lumpur) überbrachte gar Dankesworte des Nationalmuseums in Djakarta an den Philologen Overbeck, der als Erster malaiische Vierzeiler und Kinderlieder – „Patuns“ – zusammengetragen und mit seiner Uralt-Schreibmaschine festgehalten hat.

„Wir alle sind jetzt hochmotiviert, gute Beiträge für eine Overbeck-Biographie zu schreiben“, resümiert Wilfried Wagner den Workshop. Wagner, Historiker an der Bremer Uni, hat dafür den Teil der „Bremen roots“ übernommen. Kaum ein Dokument, kaum ein Erinnerungsstück nämlich konnte gerettet werden, als das Haus der Overbecks „Außer der Schleifmühle 49“ im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Einzig eine Akte mit der Aufschrift „fliegersicher aufbewahren“ wurde von einer Schwägerin gerettet und von den Bremer Overbecks letztes Jahr auf dem Speicher entdeckt. Für Wagner eine wertvolle aber bislang eher dürftige Ausbeute.

Von dem Australier R.W. Taylor war nun am Wochenende zu erfahren, daß Hans Overbeck – aus unerfindlichen Gründen – regelmäßig Insekten an den Dresdner Lehrer „Viehmeyer“ geschickt hat. Sie sind angeblich dem Museum für Tierkunde in Dresden erhalten geblieben. Und: die Verbindung Overbeck-Viehmeyer soll außerdem über einen Ameisentausch hinausgegangen sein, man vermutet einen persönlichen Schriftverkehr. Das hat Wilfried Wagner dermaßen in Aufruhr versetzt, daß er gestern spontan nach Dresden gereist ist: „Wenn das nämlich stimmt, ist das eine kleine Sensation, dann haben wir echte Overbeck-Briefe!“

Seit gestern ist dank einer Recherche Wagners im Bremer Staatsarchiv auch belegt, daß Hans Overbeck Schüler im Alten Gymnasium war. Eine Uni hat er jedoch nie besucht, war reiner Autodidakt und vor allem Neugieriger von Beruf. Die europamüden Träumer, die Anfang des Jahrhunderts nach Südostasien reisten, um „das Paradies“ zu entdecken, kannte er zwar, distanzierte sich aber von ihnen, da sie ihm wohl zu hippiemäßig drauf waren, wie Wagner vermutet. „Er gehörte nicht zur swinging Szene, die es damals gab.“ Overbeck selbst war vielleicht kein irrer Typ, ein Exzentriker aber bestimmt – und konsequent. Nach 1933 hat er keine Silbe mehr in der in Indonesien erscheinenden Zeitschrift Deutsche Wacht publiziert, er umhüllte sich mit einem auffälligen Schweigen. Dabei hatte er sich zuvor in seinen Artikeln durchaus als deutscher Patriot gegeben.

Neben all dem Forschungsschwung ist dem Overbeck-Workshop am Wochenende auch eine „heiße Idee“ (Wagner) entsprungen: die Veröffentlichung einer bereits von Overbeck übersetzten indischen Geschichte. Der Eugen-Diederichs-Verlag hatte davon einst (1927) bereits einen Probedruck und dann die Publizierung „mangels Markt“ eingestellt. Die „Overbeckii“ suchen nun SponsorInnen. Und außerdem noch nach Nachkommen von FreundInnen, Klassen- und Militärkameraden Hans Overbecks.

Silvia Plahl