Kein Lohn fürs Faserspinnen

Der Ex-Treuhandbetrieb Märkische Faser steht bei seinen Beschäftigten in der Kreide / Langwierige Übernahmeverhandlungen der Schweizer Alcor Chemie mit russischem Konzern  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – „Die Arbeit ist die Grundbedingung allen menschlichen Lebens“ steht in Stein gemeißelt am Eingang der Märkischen Faser AG in Premnitz. Arbeit gibt es noch in dem einzigen Großbetrieb des brandenburgischen Havelstädtchens, Geld dafür nicht mehr. „Der Arbeitgeber steht bei uns mit dem Juli-Lohn in der Kreide, und ob Ende dieses Monats ein zweiter dazukommt, ist noch fraglich“, klagt der Betriebsratsvorsitzende Hans-Joachim Maaß. Pünktlich um Viertel nach drei sollte sich gestern deshalb die Belegschaft am Werkstor treffen und gemeinsam zum Sozialamt marschieren – schweigend, wie Maaß betont. Schon 25 Faserarbeiter waren dort in den letzten Tagen vergeblich vorstellig geworden.

„Die bittere Alternative ist: Lohnfortzahlung oder Fortführung des Betriebs“, behauptet Vorstandssprecher Hinrich Timmann. Schuld an dem schon länger absehbaren Finanzloch trage die Landesregierung in Potsdam, die 17 Millionen Mark zurückhalte. Die aber bestreitet, dem einst größten Faserhersteller der DDR diesen Betrag zu schulden. Der Hintergrund: Als der ehemalige Treuhandbetrieb Ende letzten Jahres mal wieder in Zahlungsschwierigkeiten geraten war, kauften Treuhand und Landesregierung der einst für 5 Millionen Mark privatisierten Märkischen Faser Grundstücke für 25 Millionen Mark ab. Mit einem Gutachten versucht die Geschäftsführung jetzt zu belegen, daß der Wert der Immobilien weitaus höher sei. „Das sollen die vor Gericht austragen“, meint Betriebsrat Maaß. „Wir wollen unseren Lohn. Und wer muß helfen? Die Mutter, wie im echten Leben.“

Die sitzt in der Schweiz und heißt Alcor Chemie. Das mittelständische Handelshaus hatte die Faserfabrik Anfang 1992 übernommen. Ihre langjährigen Verbindungen in die Sowjetunion versprachen damals noch den Zugang zu Absatzmärkten. Doch die Geschichte fegte viele Geschäftsfreunde von ihren Stühlen, und die Handelsnetze wurden immer löchriger. So hielt die Alcor schon bald nach einem Übernahmeinteressenten für ihren gerade erworbenen ostdeutschen Betrieb Ausschau. Seit fast eineinhalb Jahren verhandelt sie mit dem russischen Konzern Ros-Textil, in dem 340 Textilfirmen zusammengeschlossen sind, die jedes Jahr 360.000 Tonnen Fasern verarbeiten. Etwa ein Drittel davon könnte aus Premnitz kommen. Um den Russen den Einstieg zu erleichtern, winkt die brandenburgische Landesregierung mit einer Starthilfe von 20 Millionen Mark. Langsam aber wird sie ungeduldig. „Es gibt Überlegungen, was bei einem Konkurs passiert“, sagt der Sprecher des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums, Stefan von Senger. Man sei jedenfalls mit möglichen Partnern für eine Auffanglösung im Gespräch.

Noch stehen 1.200 Leute bei der Märkischen Faser auf den Lohnlisten. Als Erich Honecker ein Jahr vor seinem Sturz dem Betrieb seine Aufwartung machte, waren es noch 6.800 gewesen. Seit 1990 wurde dann kräftig entlassen: Vor allem Frauen bekamen massenweise ihre Kündigungen zugeschickt. Im letzten Jahr versuchte die Landesregierung, den Rausschmiß von fast 700 Beschäftigten durch eine Auffanggesellschaft abzufedern. Als ABM-Kräfte räumen sie jetzt das Gelände auf.