„Moralisch handeln“

■ Der polnische Generalkonsul in Hamburg, Marek Rzeszotarski, über Schuld und Geld

taz: Die HEW bestreiten jede direkte Verantwortung für den Einsatz polnischer Zwangsarbeiter für ihr Unternehmen und verweisen auf die deutsch-polnische Stiftung zur Entschädigung der Betroffenen. Reicht dieser Hinweis?

Rzeszotarski:Ich kenne die Entscheidungen der HEW nicht genau, aber ganz sicher kann - allgemein gesprochen - mit einem solchem Fonds die historische Schuld natürlich nicht abgetragen werden. Es geht hier in vielen Fällen für den einzelnen um eine lächerliche Summe. Wobei natürlich niemand die Frage beantworten kann: Was sind drei Jahre Auschwitz wert. Viele Polen verzichten lieber auf dieses Geld, als einen Betrag anzunehmen, den sie als Almosen empfinden. Es gibt bei ihnen oft eine Verbitterung und Enttäuschung darüber, daß mit diesen Geldern ihr Schicksal quasi abgegolten wird. Für viele Betroffene wäre es eine konkretere Hilfe, wenn sie beispielsweise zwei Monate in ein deutsches Sanatorium eingeladen werden würden, um die gesundheitlichen Schäden, die durch die Zwangsarbeit entstanden sind, zu lindern. Doch andere meiner Landsleute bestehen auf einer Entschädigung für die schlimmste Arbeit, die sie je leisten mußten. Das heißt: Die finanziellen Erwartungen in den betroffenen Ländern an die deutsche Industrie existieren noch immer. Und es ist ganz sicher keine richtige Einstellung, wenn ein Konzern, bei dem vor 50 Jahren polnische Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, heute sagt: Wir wollen damit nichts zu tun haben.

Wenn Sie der Aufsichtsratsvorsitzende eines Unternehmens wären, das einst internierte Zwangsarbeiter eingesetzt hat, die jetzt finanzielle Wiedergutmachung fordern - was würden Sie Ihrem Vorstand empfehlen zu tun?

Als Pole habe ich natürlich ganz andere Erfahrungen mit den Opfern. Es waren auch Zwangsarbeiter in meiner Familie. Darum würde ich alle mir zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um diesen ganz konkreten Opfern des deutschen Faschismus zu helfen - ohne die Angst, so einen Präzedenzfall zu schaffen. Ich glaube, es gibt unkonventionelle Wege der Hilfe, wenn man sich mit diesem Problem identifiziert. Konkreten menschlichen Tragödien darf nicht mit technokratisch-bürokratischen Herangehensweisen begegnet werden, sondern nur mit moralischem Handeln und konkreten Taten.

Fragen: Marco Carini