„Üble Gesinnung“

■ Der Schriftsteller Ralph Giordano mußte als Jugendlicher Zwangsarbeit für die HEW leisten

taz: Sie haben einen offenen Brief unterzeichnet, in dem den HEW vorgeworfen wird, daß sie sich ihrer Verantwortung gegenüber den für sie in Zwangsarbeit beschäftigten Insassen des KZ Alt-Garge entziehen. Die HEW hingegen wollen finanzielle Wiedergutmachung nur an Personen üben, die nicht durch die von Bonn mit 500 Millionen Mark ausgestattete deutsch-polnische Stiftung entschädigt wurden.

Giordano: Das reicht nicht. Die HEW haben sich bisher erfolgreich um direkte Zahlungen herumgedrückt - auch wenn Geld erlittenes Unrecht nicht wieder gutmachen kann. Es muß jetzt genau recherchiert werden, was damals in Alt-Garge passiert ist.

Die HEW aber sehen sich außerhalb einer direkten, justiziablen Verantwortung und wollen - wenn überhaupt - die KZ-Insassen, die gezwungen wurden, das HEW Kraftwerk Osthannover mit aufzubauen, „wohlwollend“, quasi auf dem Kulanzwege entschädigen.

Da verwandeln sich Täter in Wohltäter. Daß die HEW in der Debatte um Wiedergutmachung sich hinter der Justiz verstecken, zeugt schon von einer üblen Gesinnung.

Sie wurden selbst, als Kind einer „arisch-jüdischen Mischehe“, gezwungen, Zwangsarbeit im HEW-Kraftwerk Neuhof zu leisten.

Ich kam im Winter zusammen mit meinem Vater und meinem Bruder als Zwangsarbeiter nach Neuhof. Wir haben dort erfolgreich sabotiert, indem wir unbeobachtet Werkzeuge in die Turbinenschaufeln geworfen haben. Die Zwangsarbeit sollte die Vorstufe zur Kasernierung und KZtierung sein. Wir haben in Neuhof auch mit einer etwa 50-köpfigen Gruppe von Teilnehmern des Warschauer Aufstandes zusammengearbeitet - meist vollkommen ausgemergelte Gestalten. Da die einzelnen Gruppen streng voneinander getrennt waren, habe ich nie mit letzter Sicherheit herausgefunden, wo diese polnischen Zwangsarbeiter untergebracht waren. Aber ich denke, daß sie im KZ Neuengamme oder einem seiner Außenlager inhaftiert waren - eine andere Möglichkeit bleibt kaum.

Sie haben noch eine andere Erfahrung mit den HEW gemacht - Ihr Großvater wurde von dem Stromversorger entlassen, weil er mit einer Jüdin verheiratet war.

Das lag sicher nicht in der alleinigen Verantwortung der HEW, da mein Vater zu einem Personenkreis gehörte, die der Endlösung zugeführt werden sollte. Doch mein Großvater, ein ungeheuer pflichtbewußter Mann, der bei den HEW jahrelang als Lagerverwalter angestellt gewesen war, hat diesen Schlag nie mehr verwunden.

Das Gespräch führte

Marco Carini