Ausgebeutet und vergessen

■ Zum Wohle der HEW: Vor 50 Jahren öffnete das KZ-Außenlager Alt-Garge seine Pforten Von Marco Carini

Es ist ein Jubiläum, an das sich niemand erinnern will, das geflissentlich totgeschwiegen wird. Vor 50 Jahren, genau am 24. August 1944, wurden in das KZ Alt-Garge, eine Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme, 500 polnische Freiheitskämpfer eingeliefert , die von der deutschen Wehrmacht bei der blutigen Niederschlagung des Warschauer Aufstandes gefangen genommen worden waren.

In Alt-Garge, einem Ortsteil der Stadtgemeinde Bleckede, mußten sie unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit verrichten und für die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) das Kohlekraftwerk Ost-Hannover erbauen. Mindestens 49 der polnischen Häftlinge überlebten die Internierung in dem trapezförmig konstruierten, rund 5000 Quadratmeter kleinen Lager, das am 15. Februar 1945 wieder geschlossen wurde, nicht.

Bis heute haben die HEW keinen Zwangsarbeiter entschädigt

Weitere 235 Insassen waren nach drei Wochen so entkräftet und krank, daß sie als arbeitsunfähig nach Neuengamme zurückgebracht wurden. Die menschenverachtende Rentabilitätsrechnung der Nazis ging dabei von einer durchschnittlichen Lebensdauer der Zwangsarbeiter von neun Monaten aus.

Das denkwürdige Jubiläum hat in den vergangenen Monaten eine beklemmende Aktualität bekommen: durch die Weigerung der HEW, die überlebenden KZ-Opfer, die zum Wohle der HEW ihre Gesundheit gaben, schnell (soweit man diese Vokabel nach 50 Jahren Untätigkeit noch gebrauchen darf) und unbürokratisch zu entschädigen. Der Hamburger Stromversorger hat sich erst spät und unter öffentlichem Druck zu seiner Verantwortung für die Insassen von Alt-Garge bekannt - doch nur zu einer äußerst indirekten. Denn bis heute haben die HEW keinen einzigen der einst für sie arbeitenden Zwangsarbeiter entschädigt.

Nur die Früchte der Nazi-Zeit hat das Energieunternehmen anstandslos geerntet. Durch das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 wurden die HEW Monopolstromversorger für Hamburg, Altona und Harburg. Nicht nur beim Bau des mittlerweile abgerissenen Kohlekraftwerks Ost-Hannover, das nach Kriegsende den Großteil der Hamburger Stromversorgung sicherstellte, wurden deportierte KZ-Insassen eingesetzt. Daß auch im HEW-Kraftwerk Neuhof polnische Häftlinge Zwangsarbeit leisten mußten, belegen nachprüfbare Hinweise. Die HEW, 1943 als „Kriegsmusterbetrieb“ ausgezeichnet, legten so während der braunen Schreckensherrschaft den Grundstein für ihre heutige Markt-Stellung.

Als 1985 der Pole Stanislaw Majewicz, der bis zum Januar 1945 in Alt-Garge interniert gewesen war, eine Entlohnung für die unbezahlte Zwangsarbeit zugunsten des Stromversorgers forderte, wies ihn dieser barsch und unmißverständlich zurück: „Gewiß sind Sie mit uns einer Meinung, daß Sie zu keiner Zeit bei unserem Unternehmen beschäftigt waren“.

Mit dem Hinweis, der KZ-Insasse habe bei den HEW nie in Lohn und Brot gestanden, berief sich der Energiekonzern auf das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“. Dieses schloß die Zwangsarbeiter von der „Betriebsgemeinschaft“ der sie ausbeutenden Firmen aus. 1945 wurde das Paragraphenwerk, daß die HEW noch vierzig Jahre später für ihre Rechtsposition bemühten, vom Alliierten Kontrollrat anulliert. Begründung: ein typisches Nazi-Gesetz.

In einem zweiten Brief an den Lager-Insassen wurde die HEW noch deutlicher: „Auch unter jedem anderen rechtlichen Gesichtspunkt haben Sie keinen Entschädigungsanspruch gegen uns“.

Für 2,5 Jahre Auschwitz gibt's 2049 Mark Wiedergutmachung

Als im Mai dieses Jahres neun weitere Ex-Häftlinge des Außenkommandos Alt-Garge bei den HEW an die Tür klopften, um „eine Entschädigung für unsere äußerst schwere Arbeit in äußerst schweren Bedingungen“ einzufordern, sagte das Unternehmen unter öffentlichem Druck immerhin zu, „wohlwollend über das weitere Vorgehen zu entscheiden“. Soweit die Betroffenen nicht bereits durch die „Stiftung deutsch-polnischer Aussöhnung“ entschädigt wurden.

Doch selbst wenn sie es wären: Die Wiedergutmachungssumme, die der 1991 von der Bundesrepublik eingerichtete und mit 500 Millionen Mark ausgestattete Fonds zu vergeben hat, sind beschämend. Wer nach langem Papierkrieg als entschädigungsberechtigt anerkannt wird, erhält beispielsweise für 30 Monate Zwangsarbeit umgerechnet 683 Mark, für zweieinhalb Jahre Auschwitz 2049 Mark.

Doch noch heute leugnet das Energieunternehmen jeden „unmittelbaren Anspruch der Betroffenen gegen die HEW“ und jede direkte Verantwortung an den Arbeitseinsätzen zu ihren Gunsten. Dabei existiert ein Dokument, in dem der Werksbeauftragte Heinemann am 15. Januar 1945 zu Protokoll gibt: „Das SS-Wirtschaftsverwaltungs-Hauptamt (...) beabsichtigt, die etwa 350 in Osthannover eingesetzten Sträflinge zur anderweitigen Verfügung abzuziehen. Die HEW haben sofort schriftlich und an dieser Stelle Einspruch erhoben und gebeten, die Häftlinge bis zum 15.3.45 im Einsatz zu lassen.“

Auf dieses Schreiben bezugnehmend forderten sieben Prominente, darunter Ralph Giordano und Dorothee Sölle, Siegfried Lenz, Hans Scheibner und Peggy Parnaß, vor wenigen Tagen die HEW auf, „umgehend eine direkte Entschädigung an die Überlebenden der KZ-Außenstelle Alt-Garge (zu) zahlen“.

In dem offenen Brief heißt es weiter: „Dieses Dokument liefert einen deutlichen Hinweis, daß die HEW eine direkte Verantwortung für den Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen in Alt-Garge tragen. Unabhängig von einer Zahlung an die Stiftung ist deshalb in jedem Fall eine Entschädigungszahlung an die Überlebenden (...) zu leisten. Abschließend möchten wir Sie bitten, zu berücksichtigen, daß die heute noch lebenden Opfer (...) ein hohes Alter erreicht haben und von daher ein (...) schnelles Verfahren für eine solche Entschädigung geboten ist“.

Zeit wird es. Nachdem die Vergangenheitsbewältigung des Stromversorgers eine fünfzigjährige Auszeit genommen hat.

Quelle: John Hopp, Die Hölle in der Idylle. Das Außenlager Alt-Garge. Zu beziehen über die Gedenkstätte Neuengamme