Skepsis und Verweigerung

■ Wie Hamburgs Gefängnisärzte die politisch angeordnete Behandlung von Gefangenen mit Ersatzdrogen unterlaufen Von Sannah Koch

Arztwillkür hinter Hamburger Gefängnismauern: Darüber häufen sich Klagen drogenabhängiger Gefangener. Aber auch außerhalb der Knäste gibt es geballte Kritik über die mangelhafte Bereitschaft von Anstaltsärzten, die von Justizsenator Klaus Hardraht angeordnete Ausweitung der Ersatzdrogen-Behandlung umzusetzen. In einem taz-Gespräch räumte der Senator ein, daß die Einstellung der Mediziner von Unkenntnis über Skepsis bis zur Verweigerung reiche. Dabei scheuen sich manche auch nicht, seine Anweisungen zu unterlaufen.

Im Frühjahr des Jahres hatte der parteilose Justizsenator angekündigt, er wolle die Drogensubstitution in Hamburgs Gefängnissen drastisch ausweiten. Doch bei einem ersten Gespräch mit den Ärzten mußte er feststellen, daß er mit diesem Anliegen auf ziemlich taube Ohren stieß. „Einige erklärten sich schlicht nicht dazu bereit“, so Hardraht. Durch Versetzungen habe er versucht, zumindest in jede Anstalt einen bereitwilligen Arzt zu bekommen. Mit gebremstem Erfolg: Immerhin hat sich die Zahl der mit Polamidon behandelten Gefangenen von rund 34 in 1993 derzeit etwa verdoppelt. Angesichts der Zahl der süchtigen Häftlinge (rund 30 Prozent) immer noch ein Klacks. So werden in „Santa Fu“ – der Anstalt II mit etwa 540 Insassen – momentan 12 Gefangene substituiert; im Untersuchungsgefängnis (UG) Holstenglacis mit einem jährlichen Durchlauf von rund 15.000 Häftlingen etwa 25 Personen. Dort sitzen allerdings nach Behördenschätzungen des Vorjahrs rund 60 Prozent wegen Drogen- und Beschaffungsdelikten.

Ein Gefangener, der den Unwillen der Ärzte zu spüren bekam, ist Wolf V.. Als substituierter Abhängiger war er ins UG gekommen. Dort allerdings habe der Vertreter von Anstaltsärztin Astrid Carstensen, Dr. Schulz, ihn während ihres Urlaubs ohne Rücksprache vom Polamidon abgesetzt. „Ihr könnt Euch vorstellen, daß ich einigermaßen ins Rotieren kam“, berichtete V.

Kein Einzelfall: Mehrfach hatten sich Insassen bei der taz gemeldet, denen ähnliches wiederfahren war. „Das UG ist die Vorhölle für Junkies“, so deren Schilderungen. Während die Anstaltsärztin widerwillig substituiere (ihre Bedenken äußerte sie zu Jahresbeginn in einem Schreiben an die Ärztekammer), weigere sich ihr Kollege Schulz schlicht. Dies bestätigen auch sachkundige Drogenärzte außerhalb der Anstalten.

Wie wenig Bereitschaft zu mehr Transparenz im UG herrscht, demonstrierte Ärztin Carstensen anschaulich. Trotz der Anweisung ihres Senators, der taz über den Fall V. Auskunft zu geben, weigerte sie sich gestern strikt. „Wir haben kein Interesse an Presse“, so ihr Kommentar. Schließlich entscheide sie über die Art der Therapie. Weitere Recherchen förderten zutage, daß V. inzwischen in Anstalt I am Suhrenkamp verlegt wurde und dort geprüft wird, ob man ihn wieder ins Substitutionsprogramm aufnimmt.

Auch mit der politischen Anweisung, im UG einen weichen (medikamentengestützten) Entzug zu praktizieren, nimmt man es offensichtlich nicht sehr genau. Ein Facharzt, der sich regelmäßig dort aufhält, bestätigte unmißverständlich, daß im UG seit einem Jahr kalt entzogen werde. Die Entzugsbedingungen hatte eine Ex-Gefangene der taz geschildert: Sie sei ans Bett geschnallt worden und Tag und Nacht mit Neonlicht beschienen worden. Sie erstattete anschließend gegen die Anstaltsärztin Anzeige, die Ermittlung läuft noch.

„Meine Zielvorstellung ist, daß wir in den Anstalten genauso viele Abhängige substituieren wie draußen“, wünscht sich währenddessen der Justizsenator. Daß er davon aber noch weit entfernt ist, darüber ist er sich auch im klaren.