piwik no script img

Werbender Schwan

■ Anekdotisch: Nina Hess' späte Nacherzählung des Lebens der Pauline Wiesel

Ihr Leben bestand aus einer Abfolge von Fahrten nach Paris, Dresden, Leipzig, Bern oder Italien. Diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man das Buch von Nina Hess über das Leben von Pauline Wiesel (1778–1848) liest. Es sollte eine späte Rehabilitierung der Freundin Rahel Varnhagens werden, der die damalige Berliner Gesellschaft Extravaganzen und lasterhaftes Leben nachsagte. Falsche Legenden sollten korrigiert werden, Pauline als aufgeweckte, blitzgescheite, offene und dazu noch schöne Frau dargestellt werden. Nach einer kurzen Ehe mit dem Kauf- und Lebemann Wilhelm Wiesel war der schöne „Schwan“, wie Pauline von ihren Freunden genannt wurde, zwischen 1803 und 1805 Geliebte des preußischen Prinzen Louis Ferdinand, der gleichzeitig wiederum mit seiner Geliebten Henriette Fromm zusammenlebte — wenn er einmal nicht zwecks Militärübungen auf dem Lande war. Das Buch wimmelt nur so von Beschreibungen, wer mit wem wohl oder auch nicht... Die Autorin hat viele Briefe der damals an den Gesellschaftsspielen Beteiligten gelesen und so zahlreiche Beschreibungen dieser „Beziehungskisten“ abgeliefert. Eine der Hauptquellen war die Sammlung der Briefe Rahel Varnhagens, die ihr Mann Karl August nach ihrem Tode zusammengestellt hat. Hess' Buch hätte spannend werden können, wenn die Windungen des persönlichen Schicksals von Pauline Wiesel in Beziehung gesetzt worden wären zu den gesellschaftlichen Umbrüchen, die sich in Berlin zwischen 1780 und 1850 vollzogen. Die Gesprächskreise, die in manch gutbürgerlicher Stube als „Salon“ stattfanden, haben doch eine nicht unbedeutende Rolle für die Politik Preußens gespielt. Dies gilt besonders für Rahel Varnhagens „Dachstube“ in der Jägerstraße. Davon findet man in dem Buch aber herzlich wenig. Auch der Wiener Kongreß 1815 ist nur eine blasse Staffage für die gesellschaftlichen Abenteuer der versammelten Diplomatie. Rahel Varnhagen, die Brüder Humboldt und die anderen scheinen von den Fragen geprägt gewesen zu sein, wie man von wem oder womit welche Einkünfte erzielen kann, um ein Leben zu führen, das aus Reisen, gegenseitigen Besuchen, Festen sowie realen und platonischen Liebschaften bestand.

Mag sein, daß es wirklich so war. Dann stellt sich aber die Frage, wie brennend uns heute noch das Schicksal dieser großbürgerlichen und adeligen Gesellschaft, die nur mit sich selbst beschäftigt war, interessieren kann.

Oft genug ist es das Verdienst gerade kleiner Berliner Verlage, verdeckte und versteckte Geschichte ans Tageslicht zu zerren. Ob das Leben der Pauline Wiesel sich dafür gelohnt hat, darf bezweifelt werden. Jürgen Karwelat

Nina Hess: „Der Schwan. Das Leben der Pauline Wiesel 1778–1848“. Weidler Buchverlag, Berlin 1994, 128 Seiten, 2 Abb., kartoniert. 24,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen