Wenn der Glückspeter einmal klingelt

Die Herren der Kugeln läßt das Lottofieber völlig kalt / Der „Money-man“ der Lottozentrale hält sich für den Besuch beim Gewinner bereit / Millionengewinn wurde nicht abgeholt  ■ Von Patricia Pantel

Im Keller der Deutschen Klassenlotterie Berlin in der Brandenburgischen Straße 36 in Wilmersdorf ist nur das Surren und Rattern der Maschinen und Computer zu hören. „Früher mußten alle Lottoscheine per Hand und Auge gelesen werden“, erinnert sich Harald Paul, der stellvertretende Abteilungsleiter der EDV. „Aber seit gut zwanzig Jahren gibt es zum Glück die Beleglese-Computer.“ Die vier hellblauen Maschinen sind das Herzstück der Deutschen Klassenlotterie in Berlin. Rund 70.000 Lottoscheine werden hier pro Minute gelesen, sortiert und im Computer gespeichert. „In dieser Woche sind schon 50.000 Scheine mehr als letzte Woche eingegangen“, brüllt Harald Paul durch den Lärm der Belegleser: und jeder Tipper hofft, den Jackpot von 28 Millionen Mark zu knacken. Damit auch wirklich alles sicher und ordnungsgemäß gespeichert ist, werden die Lottoscheine in einem Affentempo gleichzeitig auch noch auf Mikrofilmen verewigt, die dann hinter alarm- und feuergesicherten Türen verschwinden. „Wir haben hier natürlich auch Notstrom, schließlich kann bei Stromausfall nicht einfach das Lotto ausfallen“, erzählt Harald Paul.

Wenn klar ist, wer wieviel gewonnen hat, kommt der große Moment für Ingrid Neumann und Karin Block. Die zwei sind sozusagen die Berliner „Glücksfeen“. Im zweiten Stock der Brandenburgischen Straße hinter dickem Panzerglas sitzend, verteilen sie die Schecks und erleben mehr oder weniger große Ausbrüche menschlicher Emotionen. „Da hat zum Beispiel mal einer neun Millionen gewonnen“, erzählt Ingrid Neumann, „der hat seinen Scheck genommen, nicht mal danke gesagt und ist abgedampft. Da habe ich schon nicht schlecht gestaunt.“ Aber ihre „Glücks“-Kollegin Karin Block weiß auch von „rührenden Momenten“ zu berichten: „Eine ältere Frau hatte 10.000 Mark gewonnen und fing an zu heulen, weil sie ihrem Mann jetzt endlich einen Rollstuhl kaufen konnte. Da hab' ich vor Rührung gleich mitgeheult.“

Auch denen, die mal wieder nicht gewonnen haben, bleibt nicht viel mehr, als zu heulen. Ihre Lottoscheine immerhin werden noch sechs Wochen im Keller im sogenannten „Nietenraum“ aufbewahrt. Fast sieben Millionen „Nieten“ trauern dort, stellvertretend für die trauernden Kreuzchenmacher zu Hause. Danach haben sie nur noch eine Zukunft als Altpapier – die Mikrofilme freilich werden zehn Jahre aufbewahrt.

„Daß ein Schein bei uns verlorengeht, ist eigentlich nicht möglich“, sagt Detlev Schröter, der stellvertretende Gruppenleiter für die Belegleser. „Das einzige, was passieren kann, ist, daß mal einer kaputt ist. Der wird dann feinsäuberlich wieder zusammengeklebt.“ Auch fehlerhaft ausgefüllte Scheine werden in den Kellerräumen per Hand korrigiert. „Nach Zufallssystem und garantiert unbestechlich“, so Harald Paul. Er spielt selbst seit Jahren Lotto, „aber mehr als zehn Mark habe ich noch nie gewonnen“, gesteht er schmunzelnd. Bei einer Gewinnchance von 1:140 Millionen „ist die Wahrscheinlichkeit, daß man vom Blitz getroffen wird, größer, als daß man den Jackpot knackt“.

Für den Fall eines fallenden Gewinners hat Ingrid Neumann in ihrem Schrank den „Not-Cognac“ stehen. „Da kam mal einer, der dachte, er hat fünf Richtige, er hatte aber fünf Richtige mit Zusatzzahl. Der ist hier fast umgekippt, da mußte ich ihm erst mal einen Schluck aus der Flasche geben.“ Wenn sich der Gewinner nicht bei der Zentrale meldet, um seinen Gewinn abzuholen, dann ist die Stunde für „Money-man“ Lothar Runge gekommen, im Hause „Glückspeter“ genannt. Einzige Voraussetzung, damit er zum Zuge kommen kann: Der Name muß auf dem Lottoschein stehen. „Wenn es um höhere Gewinnsummen geht, versuchen wir, den Gewinner zu finden“, erzählt Reinhard Düsberg. Dann marschiert Lothar Runge los und klingelt als männliche Glücksfee an den Türen der noch nichtsahnenden Millionäre. „Da muß man schon behutsam vorgehen. Bei Ehepaaren zum Beispiel weiß man nicht, ob der eine Ehepartner vielleicht heimlich ohne Wissen des anderen Lotto gespielt hat. Und in die persönlichen Verhältnisse wollen wir uns schließlich nicht einmischen.“ Da heißt es dann für Runge vorsichtig nachfragen und den Millionär behutsam auf sein geldbringendes Schicksal vorbereiten.

In seiner Aufgabe als „Money- man“ ist es Lothar Runge aber auch schon passiert, daß ihm die Tür vor der Nase zugeknallt wurde, „weil die dachten, daß ich sie verscheißern will“. Letztendlich hat es aber noch immer geklappt. „Daß es jemand wirklich nicht haben wollte, ist noch nie passiert.“

Schwieriger wird es, wenn auf dem Lottoschein kein Name steht. „Es gab mal einen Gewinn von 1,6 Millionen Mark, und es kam kein dazugehöriger Gewinner“, erinnert sich Pressesprecher Reinhard Düsberg, „da haben wir dann ein halbes Jahr lang versucht, den unbekannten Glücklichen über Fernsehen, Radio und Zeitungen zu finden.“ Dreihundert Leute meldeten sich – den passenden Schein hatte keiner.