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■ Herders Ururururenkel macht in Berlin PopmusikWessen Gene hat er wohl?

Berlin (taz) – Heute wäre Johann Gottfried Herder 250 Jahre alt geworden. Der berühmte deutsche Dichter und Denker – das wissen wenige – gilt als der Erfinder des Volksliedes. Zumindest hat er das Volkslied als erster erforscht. Vor allem hat er aus dem englischen Begriff „Popular Song“ und dem französischen „chanson populaire“ die genialistische Übersetzung „Volkslied“ geschaffen.

Aufgrund seiner Leistungen auf kulturellem und geistigem Gebiet sollte ihm damals von den Obrigen ein kleines „von“ zwischen Gottfried und Herder plaziert werden. Der alte Herder weigerte sich aber, in den Adelsstand gehievt zu werden. Der letzte seiner sieben Söhne, sechs fielen auf dem Feld, konnte jedoch nicht widerstehen. Was so ein kleines „von“ damals bewirken konnte – diesen Kelch mochte der Sohnemann nicht an sich vorrüberziehen lassen. So kam es, daß Herder Junior all seine Nachfahren mit dem kleinen Adelsprädikat beglückte.

Nun fragt sich Moritz von Herder, wessen Eigenschaften in seinen Genen ruhen. Von dem Denker, Dichter und Erfinder des Volksliedes? Oder von dessen geltungsbedürftigem Sohn? Moritz – Künstlername: Berti von Herti – ist Musiker. Mit seinen 25 Lenzen spielt der direkte Nachfahre zwar keine Volksmusik, aber immerhin zeitgemäße Popsongs: Er zupft die Saiten bei der semiberühmten Combo „Peacock Palace“. Unter der Schirmherrschaft von Sony Music wirkte der Herder-Sprößling an zwei Plattenproduktionen mit. Reich und berühmt wurde Moritz dadurch noch nicht – von historischer Bedeutung ganz zu schweigen. Aber immerhin hat die Band unter seiner Mitwirkung den Sprung in die Charts geschafft. „Mit Volksmusik kann man es aber viel weiter bringen“, sagt Moritz etwas verbittert, „die Wildecker Herzbuben machen richtig Schotter.“ Und zwar mit Texten, die den alten Herder wohl im Grabe rotieren lassen würden.

Wenn es also um Geld, Ruhm oder Unterhaltung geht, steht Moritz eher auf der Seite von Herder junior. „Ich spiele ganz gern und schaue auch ab und zu lieber fern als in die Bücher meines Vorfahren.“ Neben dem Kupferstich von Herders Kopf lagern „Das große Herder Lesebuch“ und „Der Cid“ ungelesen in seinem Zimmer.

Moritz räumt auch leichtes Desinteresse ein, wenn sein Opa, also der Ururenkel Herders, aus dem Stammbuch Anekdoten erzählt. Nur die spektakulärsten haften im Gedächtnis: Da, wo Urtante Grethe an einer Fischgräte erstickt ist. Und daß die Uroma mal mit dem Kaiser getanzt hat.

Nach Opas Erzählungen sind Berlins „von“ Herders nicht die einzigen, die in direkter Linie von dem berühmten Dichter und Denker abstammen. Da gibt es noch einen Kino-Ketten-Besitzer „von“ Herder in Rosenheim. Der ist aber in den erlauchten Kreisen des Adels nicht so gern gesehen, da in seinen Filialen nicht nur moralisch astreine Zelluloidstreifen gezeigt werden. Schlägt er also eher in die Richtung des leichtlebigen Sohns Herders?

Nun gilt Herder senior als Wegbereiter der „Sturm und Drang“- Phase in der Literatur. Moritz hat seine Sturm-und-Drang-Phase dagegen schon hinter sich gebracht. Nach politisch aktiven Zeiten beim „Alternative-Liste-Jugendbereich“ und einer Hausbesetzung Anfang der neunziger Jahre ist er ruhiger geworden. Nur noch fünf Dreadlocks zeugen von seiner wilden Vergangenheit. Sie verstecken sich in seinem etwas lichten, langen, lockigen und blonden Haar. Wie bei seinem Urahn tendiert Moritz' Haarsatz schon gen Nacken. So ein paar äußerliche Ähnlichkeiten mit dem alten Herder hat der Moritz also doch. Sven Christian

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