: Ausländische „Drecksarbeiter“ im Milieu
„Russenmafia im Westend“, „Serben und Kroaten verdrängen Albaner“; die Bordellmorde von Frankfurt geben den Spekulationen über ausländische Banden, die das Milieu unter sich aufteilen, neue Nahrung ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) – Nein, einen Al Capone habe die Mainmetropole nicht zu bieten, sagte einer der inzwischen entnervten Polizisten. Und auch die „Russen-Mafia“ habe die Stadt noch nicht zur neuen Filiale der „Mutterfirma“ in Moskau erklärt.
Die Morde an vier Prostituierten aus dem Gebiet der Ex-Sowjetunion, ihrem ungarischen Chef und dessen Ehefrau haben den Spekulationen über ethnisch zuzuordnende Banden, die das Frankfurter Rotlichtmilieu beherrschen, wieder neue Nahrung gegeben. Bandenkrieg im Milieu? „No comment!“ lautet stereotyp die Antwort der Polizei.
Auch wenn inzwischen einige Fakten dafür sprechen, daß es sich bei den Morden im Westend nicht um die Tat einer „Mafia“ handelte, sondern um „Raubmorde aus Habgier“ (Polizei), weicht ein Sprecher den Fragen nach den Machtverhältnissen in der Halb- und Unterwelt der Stadt aus. Handfeste Information auf der Grundlage statistischer Erhebungen hatte dagegen das Landeskriminalamt (LKA) Hessen zu bieten. Daß deutsche Staatsbürger die eigentlichen Drahtzieher der schmutzigen Geschäfte auch im Bahnhofsviertel in Frankfurt/Main sind, ist für LKA-Sprecher Beilstein die eine Seite der Medaille. Die andere sind die ausländischen Banden, die für diese deutschen Staatsbürger die „Drecksarbeit“ vor Ort erledigen: Türken, Marokkaner und Italiener – aber vor allem zu allem entschlossene Kriminelle aus Ex-Jugoslawien. Serben und Kroaten haben sich auch nach den Erkenntnissen der Polizei in Frankfurt/Main im Bahnhofsviertel eine Machtposition erobert: beim Rauschgift- und Waffenhandel, beim illegalen Glücksspiel und auch bei der sogenannten Nachtlebenkriminalität (LKA). So herrschte in der Mainmetropole monatelang Krieg zwischen den „etablierten“ Hütchenspielern aus dem Kosovo und den Gangs aus Serben und Kroaten. Da wurden Kosovo-Albaner beim Hütchenspielen von einem Motorrad aus mit einer Maschinenpistole beschossen – und andere auf der Straße mit Messern angegriffen und dabei tödlich verletzt.
Bei „Schutzgeld“-Erpressungen haben dagegen italienische Mafiosi nach wie vor das (Abrechnungs-)Heft fest in der Hand. Und beim Handel mit harten Drogen sind Türken führend – und Marokkaner und Ex-Jugoslawen auf dem Vormarsch (Kriminalstatistik LKA). Wie im Polizeipräsidium zu erfahren war, konzentriere die sogenannte Russen-Mafia ihre Aktivitäten auf Berlin und Ostdeutschland, habe aber auch im Ruhrgebiet inzwischen Fuß fassen können. Deren „Spezialgebiete“ seien der Waffen- und Mädchenhandel und die Autoverschiebereien. Daß der ermordete Bordellbesitzer Gabor Bartos in seinem Luxus-Etablissement im Westend vor allem Frauen aus Rußland und den baltischen Staaten „beschäftigte“, galt vielen „Spekulanten“ (auch Polizisten) als Beleg dafür, daß die „Russen-Mafia“ ihre Aktivitäten auch auf Frankfurt/Main ausgedehnt habe. Doch eine Erhärtung dieser Hypothese konnte auch das Sonderkommando (SoKo 142), das nach den sechs Morden im Edelpuff zusammengestellt worden war, bislang nicht beibringen. Im Gegenteil: Die in Bayern festgenommenen Tatverdächtigen – darunter eine bei Bartos beschäftigte Prostituierte – seien bislang nicht als Mitglieder der „Russen-Mafia“ in Erscheinung getreten.
Nach den Erkenntnissen der Mitarbeiterinnen von „agisra“, der Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung in Frankfurt/Main, könne in Sachen Frauen- und Mädchenhandel ohnehin nicht von der Mafia gesprochen werden. So komme es immer darauf an, aus welchen Ländern die Frauen mit Versprechungen oder auch mit Gewalt in die Bundesrepublik gelockt oder verschleppt worden seien.
Sowohl in südamerikanischen Ländern als auch in Osteuropa würden die sogenannten Beschaffer eng vor allem mit deutschen „Händlern“ zusammenarbeiten. Länder mit einer regelrechten „Beschaffungsmafia“ seien Kolumbien und Tschechien. In den Bordellen im Bahnhofsviertel, so „agisra“ weiter, würden zur Zeit noch wenige Frauen aus Osteuropa arbeiten. „Aber was sich in den privaten Clubs abspielt, wissen wir nicht.“
Der ermordete Edelbordellbetreiber Gabor Bartos jedenfalls war eine schillernde Figur – und offenbar ein schwerreicher Mann. Zwei Privatflugzeuge nannte der Ungar sein eigen. Und das Ehepaar Bartos vertrieb sich die freie Zeit mit Ausflügen auf der eigenen Luxusjacht. Ob der erfahrene Pilot Bartos die Frauen aus der Ex- Sowjetunion persönlich mit einem Flugzeug über den Privatflughafen Egelsbach bei Frankfurt/Main in die Bundesrepublik verbracht hat, steht noch nicht fest. Doch davon, daß Bartos, der in diversen Branchen als „Geschäftsmann“ tätig war, einen der beiden deckungsgleichen Citroen, die von der Polizei am vergangenen Montag sichergestellt worden waren, zu illegalen Transaktionen nutzte (oder benutzen ließ), gehen die ermittelnden Beamten inzwischen aus. Der Wagen vor der Villa war offenbar das Alibi des Ungarn – falls der andere Wagen mit der gefälschten Nummernschilddoublette bei einer illegalen Tour aufgefallen wäre. Nicht bestätigen wollte man im Polizeipräsidium bislang, daß Bartos auch mit illegalen Waffentransporten befaßt war. Entsprechende Hinweise kamen in der vergangenen Woche aus sogenannten einschlägigen Kreisen in Frankfurt/Main, die von den Lokalzeitungen öffentlich gemacht worden waren.
Auch wenn die Morde im Westend tatsächlich „nur“ Raubmorde gewesen sein sollten, sind sie ein Indiz für die zunehmende Brutalität nicht nur im kriminellen Milieu. Die mutmaßlichen Raubmörder stammen alle aus der Ex-UdSSR und lebten in einem Heim für Aus- und Übersiedler in Bayern. Schon vor Monatsfrist forderten die Teilnehmer einer Fachtagung „OK“ beim Bundeskriminalamt (BKA) die Einrichtung einer internationalen Task Force zur Bekämpfung der international organisierten Bandenkriminalität unter Einbeziehung von Rußland. Doch nicht die Morde und Bandenkriege im Frankfurter Bahnhofsviertel werden die „Geburtshelfer“ für diese Task Force sein. Auftrieb erhält dieses Vorhaben durch die vagabundierenden Atom- und Plutoniumschmuggler aus dem Osten. Auch die SPD in Bonn befürwortet eine solche Spezialtruppe. Denn was ist schon der Handel mit Waffen, mit denen sich die Kriminellen anschließend gegenseitig erschießen, gegen den Handel mit dieser Waffe.
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