■ Die Berliner Polizeistruktur ändern
: Der Geist einer Studentenverbindung

Vorgesetzte, die jungen Untergebenen ihren eigenen Strafkatalog aufzwingen, ungesetzliche Praktiken bei der Ausrüstungsbeschaffung dulden und sich bei Festnahmen gebären wie knallharte Cops aus einem US-Streifen – die Schilderungen eines ehemaligen Berliner Polizeiangehörigen ähneln jenen Berichten, wie man sie aus militärischen Verbänden kennt. Doch jungen Rekruten der Bundeswehr können sich bei ungesetzlichen Praktiken – der Erfolg sei dahingestellt – zumindest an den Wehrbeauftragten des Bundestages wenden. Doch wie wehren sich junge Beamte, wenn sie in Polizeieinheiten Dienst tun, in denen solch haarsträubende Praktiken, wie sie jetzt in Berlin bekanntgeworden sind, offenbar zum Einsatzalltag gehören? Von Glück kann reden, wer versetzt wird oder sich dazu durchringen kann, den Dienst zu quittieren. Die, die bleiben, zwingen Hierarchie und Gruppendruck zur Anpassung.

Allzu lange haben die Berliner Verantwortlichen sämtliche Anschuldigungen in der jüngsten Polizeiaffaire heruntergespielt. Hartnäckig wird die Diskussion um die bisherige Struktur innerhalb des Polizeiapparates verweigert. Statt dessen der aus früheren Vorgängen hinlänglich bekannte Versuch, die zehn Fälle, in denen Beamte der Mißhandlung und Unterschlagung beschuldigt werden, zu beklagenswerten Einzelfällen herunterzuspielen. Die Polizei, so das gebetsmühlenartig wiederholte Argument, stelle nun einmal einen „Querschnitt der Bevölkerung“ dar. Der Berliner Polizeipräsident Hagen Saberschinsky erklärt, bei der Aufklärung der jüngsten Vorfälle sei kein Anstoß von außen notwendig. Mag sein, daß ein Dienstherr zunächst einmal pauschale Anschuldigungen gegen seine Behörde abwehren muß. Doch gerade der beleidigt-aggressive Tenor ist es, der jene Kräfte in der Polizei stärkt, die in halbmilitärischen Kategorien denken. Immer offensichtlicher wird, daß die Hoffnung auf die „Selbstheilungskräfte“ innerhalb einer Truppe, deren Selbstverständnis an verschworene Studentencorps erinnert, nicht ausreicht. Moralische Appelle wie die des Berliner Innen- Staatssekretärs Eike Lancelle (CDU), die Polizisten dürften Kameradschaft nicht mit Kumpanei oder Komplizenschaft verwechseln, sind allenfalls gut für die demokratische Imagepflege. Sie kosten nicht mehr als ein wenig Überwindung, verpflichten aber zu nichts. An den Reaktionen der letzten Wochen wird deutlich, daß Debatten über Veränderungen kaum erwünscht sind – zumal in Zeiten, in denen der politische Erwartungsdruck auf die Polizei weiter zunimmt. Am wenigsten mit einem Berliner Innensenator Dieter Heckelmann (CDU), der bislang alle Affairen mit Rückendeckung seiner Partei überstanden hat. Severin Weiland