Sanssouci: Vorschlag
■ „Büchsenöffner“, eine Clownerie von Victor Lanoux im Theater Zerbrochene Fenster
Arne Baur-Worch und Utz Krause Foto: David Baltzer/Sequenz
Zwei schwadronierende Typen in einem hermetisch abgeriegelten Raum, ohne Vergangenheit und mit nur sehr begrenzter Zukunft, allein mit sich und ihren Überlebensspielen, das riecht nach Ham und Clov, Wladimir und Estragon. Doch mit dem Beckettschen Endzeitpersonal haben Johann und Jakob einzig die Lebensumstände gemein. In einem Kellerloch vegetieren sie, mit der Außenwelt nur durch ein U-Boot-Periskop verbunden. Überlebende einer namenlosen Katastrophe vielleicht oder nur Ausführende einer eigenen, hirngespinstigen Versuchsanordnung, das wird nie klar. Im Grunde interessiert sich der Autor des seltsamen Männerpaars auch nicht so recht für die Weltenabgründe seiner Figuren, ein weitschweifiges Seelenpanorama von der Vergeblichkeit des Seins ist seine Sache nicht. Victor Lanoux – hierzulande eher als Schauspieler in französischen Filmkomödien denn als Stückeschreiber bekannt – benutzt in seinem „Büchsenöffner“ die existentielle Ausgangssituation nur als Aufhänger. Da trifft, ganz wie bei den klassischen Zirkusspaßmachern, der dumme Hanswurst auf den intelligent-überkandidelten weißen Clown. Heraus kommt ein Kampf um die Macht, der sich hier am Verlust des titelgebenden Büchsenöffners festmacht. Denn ohne den können die lebenserhaltenden Erbsendosen nicht mehr geknackt werden. Die Fehde um das Restfressen – einige Packungen Kekse, die der naive Jakob zuvor verspielt hat – kann beginnen. Der Trottel will und braucht, was der Intellektelle hat und mit ausgefeilten Gedankenschleifen verteidigt.
Das führt zu grotesken Listen, zu kindlichen Spielen, zu Diskursen über kosmische Kontinuität und zum Philosophieren über das Wesen der Zeit vor Erfindung der Uhr. Karl Valentin mit seiner zwanghaft-logischen Verkettung nicht zusammenpassender Dinge hin zum konsequenten Gedankenchaos lacht vom Komödiantenhimmel herunter. Arne Baur-Worch und Utz Krause eifern dem großen Vorgänger unangestrengt witzig nach. Ihre lebensfrohen Untergangsmänner sprühen vor Komik im Understatement-Format. Sie tragen nicht dick auf, sondern gleiten von Pointe zu Pointe. Das ist ohnehin das Lustigere.
Die Inszenierung (Bernd Rumpf) umschifft elegant alle Klamottenklippen. Sie beleuchtet ihre rastlosen Protagonisten mit behutsamer Ironie, bis hin zum bös-einträchtigen Ende.
Nach anderthalbjähriger Pause und ohne Senatsunterstützung bespielt die (geschrumpfte) Stamm-Mannschaft des Theaters Zerbrochene Fenster wieder das eigene Haus.
Vom manchmal etwas verblasenen Hochkunst-Anspruch vergangener Zeiten ist beim Neueinstand gar nichts zu spüren. Mehr als wohlmundende Theaterkulinarik will die skurrile Clownerie nicht sein. Und deshalb stimmt sie bis zum letzten Kekskrümel. Eine sanft tiefgängige Sommerkomödie, mit Laune gespielt und in Szene gesetzt, versüßt allemal den Herbstanfang. Gerd Hartmann
Bis zum 12. September jeweils Do. bis Mo. um 20.30 Uhr, im Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Straße, Kreuzberg.
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