Elitär, aber okay

Berliner Label, die dreiundzwanzigste: Human Wrechords aus Mariendorf, die Wahlfamilien-Firma, von der man nicht lebt, sondern eher stirbt. Aber tapfer – und niemals trendy!  ■ Von Thomas Winkler

Es ist beschaulich hier in Mariendorf. Gepflegte Schule reiht sich an gepflegtes Postamt. Die Bürgersteige sind gerade heruntergeklappt. Und beim gepflegten Italiener (oder war's ein jugoslawisches Restaurant?) an der Ecke gibt es Ernte 23 im Automaten.

In dieser Gegend residiert Axel, ein Viertel von Human Wrechords, einem der unbekanntesten und nichtsdestotrotz umstrittensten Labels der Stadt. Ich hatte mir vielleicht was ausgemalt, als ich durch die Abenddämmerung schlenderte: etwas sehr Eigenbrötlerisches, Wir-Bezogenes, eine seltsame Klitsche, in der die nicht vorhandenen Erfolgschancen positiv umgedeutet werden in eine avantgardistische Grundhaltung.

Umstritten ist Human Wrechords deshalb, weil unsere Freunde vom Kleinstlabel immer großen Wert auf die Gestaltung ihrer Plattencover gelegt haben. Das trug ihnen zum einen zwar schon mal im englischen Melody Maker den Titel „Cover of the Week“ für eine LP von Burst Appendix ein, führte allerdings auch zu bösen Mißverständnissen bei ihrem Firmen-Sampler, der „Wrechord Compilation“.

Für die Rückseite hatten sie ein Foto aus dem chinesischen Boxeraufstand verwendet, das einen an Knien und Brust verstümmelten Körper zeigte. „Frauenfeindlich“ schrie es durch die Fanzines, die sich teilweise sogar deswegen weigerten, die Platte zu besprechen.

Dumm nur, daß es sich um ein Opfer männlichen Geschlechts handelte. Der eigentlich grundlose Zwist um das von EndArt gestaltete Cover beleuchtet vor allem den Willen von Human Wrechords, über die Musik hinauszugehen, die Cover eben nicht nur als Verpackung zu begreifen. Und dazu gehört in diesen Zeiten unweigerlich die gute alte Provokation.

Klarerweise wehrte man sich bis zuletzt vehement gegen das CD- Format und brachte weiterhin konsequent nahezu ausgestorbene Formate wie EPs in grünem Vinyl oder gar Dreifach-Singles in der handgestalteten, zentimeterdicken Pappbox heraus. Der Kampf ist jetzt allerdings verloren, weil sich EFA schlicht weigerte, die Produkte wie bisher zu vertreiben und nur mehr CDs ins Programm aufnimmt. Nach einigen letzten, in der Tschechei gepreßten Veröffentlichungen wird dann wohl auch bei den Wrechords die (auch schon nicht mehr taufrische) CD einziehen.

Allein schon deshalb, weil sie nicht zu Sektierern verkommen und mit Tapes anfangen wollen. Von den Tape-Fetischisten als zu kommerziell verachtet, sitzen sie zwischen allen Stühlen. „Der Ruf, den wir haben, ist halt: Sehr interessant, mutig, aber die Platten will ich nicht kaufen. Wir haben zwar den Loser-Touch, aber wir machen halt, was wir wollen. Im Grunde macht man die Platten nur für die anderen Musiker und die anderen Labels“, glänzt Mario Mentrup, Sänger von Knochen=Girl und ehemaliger Organisator der berüchtigten EVOL-Festivals im damaligen Ecstasy, mit Realismus.

So gehen die Mini-Auflagen, die selten die 500 überschreiten, nur zum kleinsten Teil über den regulären Ladentisch. Was nicht die besten Freunde erwerben, wird einer eingeschworenen Fangemeinde über den eigenen Mailorder angeboten. Im dem findet sich auch das Programm ähnlicher Mediengiganten aus Frankreich, Rußland oder Japan, mit denen man Kleinstkontingente tauscht.

Im Gegenzug nehmen die halt zehn Stück ab, um sie ihrer Klientel ebenso über Mailorder anzubieten. Der Galgenhumor ist folgerichtig: „Wir haben natürlich davon geträumt, die wichtigste Musik der Welt zu veröffentlichen und die World Domination Enterprises zu werden. Sony war unser unternehmerisches Ziel.“

Daß sich der kapitalistische Erfolg in eng überschaubaren Grenzen hält, liegt allerdings auch am musikalisch arg divergierenden Programm des Labels. Das reicht von den völlig durchgeknallten Fastschonhörspielen von Trickbeat über den verwirrten Industrial von Knochen=Girl bis zum relativ straighten Hardcore von Burst Appendix.

Der Grund für dieses denkbar weite Spektrum ist einfach: Vier Menschen mit recht unterschiedlichem Geschmack bringen vor allem die eigene Musik heraus und was ihnen sonst noch gefällt und – meist von Freunden – angeboten wird. Das Problem: „Die normalen Punkmailorder wollten nur Burst Appendix, die Industrial-Spießer wollten Knochen=Girl. Die brauchen halt ihre Schubladen, aber uns hat das genervt, weil wir uns als Familie sahen.“ Und bei EFA fehlt halt das werbetechnische Engagement, das der größte deutsche Independent-Vertrieb bei der Masse an vertriebenen Kleinlabels natürlich auch nicht leisten kann.

Eine Frage erübrigt sich natürlich. „Von Human Wrechords kann man nicht leben, an Human Wrechords stirbt man eher“, sagt Axel Grumbach, die eine Hälfte von Trickbeat, und auch wenn er ernst dabei guckt, kann er nicht verleugnen, daß ihn das auch ein wenig freut.

Früher einmal hat man die Platten vorfinanziert, aber das können sich die vier nicht mehr leisten, auch weil man mit einigen LP-Lizensierungen (so zum Beispiel der Re-Issue von D.A.F.s „Die Kleinen und die Bösen“) auf die Nase fiel. Jetzt geben sie quasi nur noch infrastrukturelle Unterstützung und vor allem ihren „guten Namen“: „Jeder, der kommt, muß bezahlen. Aber nicht jeder, der bezahlt, kann auch kommen.“ So trat eine dreijährige Veröffentlichungspause ein, die bis zum Sommer 94 währte. Der Grund waren Frust und schlicht das fehlende Geld.

Diese Durststrecken übersteht man nur als geschlossener Zirkel, dessen musikalische Betätigungen auf den ersten Blick zwar keine Gemeinsamkeiten zu haben scheinen, dessen Geschmack aber eine gemeinsame Komponente der Andersartigkeit beinhaltet, der verbindet.

„Das dauert Stunden, zu erklären, warum Musik so zu klingen hat, wie wir sie klingen lassen wollen“, fehlen auch Nils Peters, ehemals Burst Appendix und Dead Chickens, jetzt vor allem Studiotechniker, die Worte, das Gemeinsame an Human Wrechords zu erklären: „Ich mache Musik, weil ich nicht mehr reden möchte. Mir sagt ein Gitarrenriff viel mehr als Worte.“ Dieser Ansatz sei „zwar elitär“, räumt Axel ein, „aber okay“. Und über allem schwebt der Stolz „niemals trendy“ gewesen zu sein, noch nicht einmal seiner Zeit voraus, sondern immer daneben produziert zu haben. Als hätten sie sich ihr eigenes Paralleluniversum geschaffen, in dem sie sich erholen können, wenn sie einmal aus dem realen Leben, das sie auch führen als Studenten, Arbeitslose oder Journalisten, verschwinden wollen.

Kontakt: Human Wrechords, Postfach 335, 10925 Berlin, Tel.: 706 65 73/ 786 22 38, Fax: 706 73 99

Letzte Veröffentlichungen:

Trickbeat: „Vietnashville“, EP

Kiss Freak Steven: „Blind Left“, Dreifach-Single

Golden Showers: „Delicious“, Single mit vier Stücken