Durchs Dröhnland
: Zeigt her eure Ängste

■ Die leisesten und lautesten, die teuersten und billigsten Konzerte der Woche

Der Vereinfachung halber stehen Städtenamen oft für eine bestimmte Musikszene mit einem ganz speziellen Sound (das bekannteste Beispiel ist ja allen bis zum Erbrechen bekannt). Die Stadt Boston beherbergte besonders in den Jahren 86 bis 88 den melodischsten Hardcore ever, hatte in Taang! ein rühriges Label und durfte so großartige Bands wie die Lemonheads, Moving Targets oder Bullett LaVolta ihre Kinder nennen. Auch Slapshot kommen aus Boston, wurden aber nie in obigen Atemzügen mitgenannt. Das lag größtenteils daran, daß diese Band seit Jahr und Tag einen Mark und Bein erschütternden, mal schweren und schleppenden, mal fix und frisch nach vorne gehenden Hardcore spielt, der null Kompromiß an Melodie und Massengeschmack macht. Struktur aber ist bis zum Abwinken vorhanden, und mit den Megaportionen an gesunder Wut ziehen Slapshot elegant den Bogen von Straight Edge zu den persönlichen Nichtig- und Wichtigkeiten des Lebens. Wenn man an den ganzen amerikanischen Scheiß denkt, mit dem momentan ein Unmenge an Geld verdient wird, dann sind Slapshot – bei allem fehlenden Charisma des Sängers und seinem handelsüblich grauseligem Gegröle – die Verkörperung von Erfüllung, Spaß, Luftigkeit und vor allem Glaubwürdigkeit.

Heute um 21 Uhr im SO 36, Oranienstraße, Kreuzberg.

Allein ihr Name ist Programm, ihr Sound nichts als eine ewig währende Therapie: Neurosis. Zeigt her eure Ängste, zeigt her eure Depressionen, wir liefern euch den Soundtrack dazu.

Am 27.8. um 21 Uhr, SO 36.

Ganz interessant und spannend wird es immer, wenn das Bundesamt für proletarisch-lustigen Punkrock wieder einen seiner Angestellten auf Tour schickt. Das hat den Charme und den Witz von ScharPings Wahlkampfreisen, so öd ist der Fun, so doof ist der Punk, und so stumpf sind die Aussagen zur Zeit. Die Dimple Minds machen da keine Ausnahme. Mit „Blau auf'm Bau“ brachten sie das erste Mal 1987 deutsche Malocherwirklichkeit auf den Punkt, mit der anschließenden LP „Trinker an die Macht“ schafften sie es wg. Verbreitung jugendgefährdenden Schriftguts auf den Index. Auf dem neuesten Werk „Die Besten trinken aus“ soll wieder wider so manchen Stachel gelöckt werden, wobei die Bremer jedoch jedes Thema verfehlen und nicht selten in dumpfbackigen Geschmacklosigkeiten wie dieser ausrutschen: „Ein echter Hippie der ist nie verklemmt / Der geht öfter fremd und wird wund“ ... „Zum Urologen / Revolution / Der näxte Tripper / Ist die Solution.“ Da schimmelt doch das Bier in der Flasche.

Am 28.8. um 21 Uhr im Marquee, Hauptstraße, Schöneberg.

Sie mögen es nicht, natürlich, aber Sandow aus Sandow in Cottbus haben sich von den Neubauten so manche Scheibe abgeschnitten und gern unseren Blixa, unseren Bargeld gefressen; haben ihn dann jedoch nur schwer verdaut, denn Kunstgewerbe auf nüchtern-bodenständigem Magen, was macht die Schleimhaut mehr kaputt? Also spucken sie ihn mit aller ihnen zur Verfügung stehen Monumentalität wieder im hohen, metallenen, hammerschlagartigen, gemeißelten Bogen aus. Und dann brennen Welten, beben Erden, befindet man sich auf pferden auf blitzen auf apokalypsen, ist Denken interniert, sind Schädel gespalten. Sandow machen Musik vom Anfang und vom Ende, kümmern sich um Archaik, Mythen und Heiligtümer und wohnen, dämmern und lügen in Soundwelten, daß einem schon mal angst und bange werden kann. Oder übel.

Am 28.8. um 20.30 Uhr im Loft am Nollendorfplatz, Schöneberg.

Auch Träume werden war, nicht nur auf der Leinwand, sondern manchmal sogar in trockenen Gewerbezweigen wie dem Rockbusiness. Endlich einen Puff von innen sehen und erleben, ihn vielleicht nicht nur als bloßes Erledigen von manchmal unumgänglichen Geschäften nutzen. Wir konnten es kaum erwarten, where did Marc Amond go? – doch nun ist es wieder soweit: Berliner Jungs und Musiker geben sich in einem solchen die Ehre, nämlich Gum, die Band, die vielen aufmerksamen LeserInnen dieser Seiten ein nicht unbeschriebenes Blatt sein sollte. „Excessive Dreams in Redlight“ heißt das feucht und schwülstig, und vielleicht hört und fühlt sich ihr „moderner“ Rock ja an diesem Ort ganz anders an als in einem spartanischen Konzertladen.

Am 29.8. um 20 Uhr im La Poupee, Ecke Schlüterstraße/ Ku'damm.

Schnöde die Musik, spektakulär die Auftritte. Wer kennt sie nicht, die Gwars und Bombs, die Plasmatics und die Dwarves dieser Welt; Bands, mit denen man Show, Spektakel, Sabber und Splatter assoziiert, deren primitiver Punk oder Metal sich aber schon ordentlich in den Dämpfen des Vergessens aufgelöst hat. Die Genitorturers reihen sich da nahtlos ein; mit ihnen darf man sich live, und zwar diesseits aller Rotlicht-Bezirke und anderer Geheimnistuereien, davon überzeugen, wie eine „richtige“ Lederfrau aussehen könnte, was es alles an S/M- Praktiken gibt und daß wirklich jede Körperstelle bestens zum Piercing geeignet ist. Macherin und Inszenatorin dieser Angelegenheit ist eine Dame namens Gen, deren vorgebliches Dasein als schwer schaffende Ärztin in einem Transplantationszentrum dazu führte, das Leben einzig und allein als ein Ausloten von Grenzsituationen zu sehen. Ausgestattet mit einem Haufen Sendungsbewußtsein, steht bei Gen und ihren Tortures nun nicht mehr der tote, sondern der lebendige Körper als Objekt der Begierde im Mittel- und Angriffspunkt jeglicher Bemühungen, wohl bekomm's.

Am 30.8. um 21 Uhr im Marquee. Gerrit Bartels