Menschen wie du beziehungsweise ich: Der Seeleut Von Claudia Kohlhase

Donnerwetter, geht der Wind. Obwohl er ruhig noch stärker gehen könnte. Denn rauh wie das Leben ist die See ohe beziehungsweise ahoi. Sonst ist der Seemann nicht genug erschüttert und muß Anker werfen. Und wer wirft schon freiwillig Anker, wenn er gleichzeitig hinaus auf See ohe könnte. Anker wirft man doch schon ununterbrochen an Land; also sollen jetzt gefälligst mal Schaumkronen überschwappen und Elemente her. Erst dann können sie bezwungen und aus der Welt geschifft werden, wofür der Seemann zutiefst angetreten ist in diesem trockenen Leben. Dem man nur noch Segel aufsetzen kann, um zu entkommen.

Das heißt natürlich nichts anderes, als daß sich im Seemann Weit-, Fern- und Scharfblick mit Um-, Vor- und Absicht derart homogen mischen, daß Mann und Maus schlußendlich scharf in den Wind schießen. Und da schießen sie dann und schießen, quasi immer an der Wand lang, und kentern gefälligst nicht. Sonst fällt die mitgeführte Dame in Ohnmacht. Was sie innerlich so oder so tut, äußerlich aber spätestens ab jener Schieflage, in der das Gischtgeschehen ins Boot herübertritt. Damit die Seefrau abgelenkt ist von ihrem eigenen Untergang, darf sie Luv und Lee auswendig lernen oder auch Steuer- und Backbord – wobei niemand wissen darf, daß sich hinter Steuerbord bloß rechts und hinter Backbord links verbirgt – und die Vorschot einholen, was im Grunde ein Strick ist. Hinten dran am Strick hängt jedenfalls das Segel und flattert furchtbar, wenn sie fahrlässig lockerläßt.

Ob man wohl eines Tages mal irgendwo hinkommt, möchte die Seefrau manchmal von ihrem Seemann wissen, etwa wenn sie ein Klo haben will oder ein Eis. Aber da dreht grade der Wind, und erstens kann jetzt kein Seemann sprechen, da er eine der waghalsigsten Wenden seines Seemannslebens einzuleiten hat. Und zweitens ist ein Schiff auch nicht zum Pinkeln da, weil der Wind, wie man sieht, ja dauernd dreht und der Seemann sein Wasser sowieso nebenbei abschlägt, wo es in hohem Bogen ins andere Urelement plätschert. In den Mittagsstunden, wenn der Wind sich legt und gerne auch der Seemann, darf die Seefrau ans Ruder. Das ist eine große Ehre und ebensolche Verantwortung, denn jetzt zeigt sich, ob sie in den verflossenen Stunden ein tragfähiges Verhältnis zu ihrem Verklicker aufgebaut hat. Der Verklicker hängt am Mast und ist auch nur eine Fahne im Wind. Aber eben eine, nach der sich ein Seeleut richten muß, will er nicht dümpeln oder noch schlimmer daddeln. Daddeln ist schlimm, auch wenn man solange Kekse essen könnte oder die Umgebung betrachten oder Verse und Pläne schmieden. Aber nein: sind wir hier auf einer Kaffeefahrt mit implizitem Plaid? Eben. Gott sei Dank brist es von hinten her auf, also alle Mann auf die Plätze und Kekse und Schotten dicht. Und hui streift eine schroffe Sturmbö aus der Gewitterfront über Bad Zwischenahn das kleine Schiff und seine Besatzung. Aber glücklich am Wind lehnt der Seemann und sticht in den See, als wäre das Wasser sein Heim oder auch Herd und ließe ihn überkochen wie süßen Brei. Und während er mit den Wellen über alle bisherigen Ziele hinausschießt, bittet die Seefrau irgendwelche eingemotteten Götter um ein bis zwei Windstillen für ihr Hasenherz. Aber der liebe Gott ist ein Käpt'n.