Radio ohne aktuelle Hits?

Phono-Industrie will Musikausstrahlungen im digitalen Radio untersagen dürfen  ■ Von Jürgen Bischoff

Liegen die Radiosender demnächst auf dem trockenen? Wenn es nach dem Bundesverband der Phonographischen Industrie geht, dann sollen sie demnächst nicht mehr Musik nach Belieben spielen können, zumindest diejenigen nicht, die ihre Programme mit Hilfe neuer digitaler Techniken verbreiten wollen.

Thomas M. Stein, Geschäftsführer der BMG/Ariola und Vorsitzender des Verbandes, hatte anläßlich der Kölner Messe „Popkomm“ mit der Forderung nach einer Änderung des Urheberrechts für Aufsehen gesorgt: „Wir brauchen dringend ein Urheberrecht, das uns ermöglicht, ein Abspielen unseres Repertoires im künftigen digitalen Radio notfalls auch zu verbieten.“ Derzeit fehlt der Tonträgerindustrie diese Möglichkeit. Die Rundfunkanstalten senden und rechnen bei der GEMA die gespielten Musiken ab. Wenn sich das digitale Radio, sei es via Satellit, Kabel oder als Abrufdienst in Audio-Mailboxen, durchsetzt, dann – so befürchtet die Musikindustrie – werden die Zuhörer verstärkt auf digitalen Aufzeichnungsgeräten mitschneiden. Bis jetzt noch weitgehend ein Ladenhüter, könnten diese Geräte einen Marktdurchbruch erleben und gleichzeitig den Schallplattenkonzernen einen Einbruch beim CD- Verkauf bescheren, der schlimmer sein könnte als die Absatzkrise Anfang der achtziger Jahre.

Professor Norbert Thurow, Geschäftsführer der Phonoverbände, präzisiert die Forderung der Musikindustrie: „Bei jedem Spielfilm ist klar, daß die Fernsehanstalten den nicht eher senden dürfen, als bis sie einen Vertrag mit dem Verleih gemacht haben. Diese Situation wollen wir auch haben.“ Dieses strengere Urheberrecht werde im übrigen schon seit Jahren auf internationaler Ebene im Rahmen der World Intellectual Properties' Organisation diskutiert.

Für die Musikbranche geht es nach den Worten Thurows weniger um Oldies als darum, was an nagelneuen Titel gespielt werden darf. Thurow denkt an eine dreimonatige Sperre für neue Musiktitel in den Radios, um den CD-Absatz zu sichern. Schon jetzt hat die Musikindustrie Probleme. Die aktuellen Hits werden in den Privatradios und auf privat getrimmten ARD-Sendern bis zum Erbrechen gedudelt, so daß schließlich niemand mehr die Platten kaufen will. Thurow: „Das ist keine Werbung mehr, das ist Overexposure.“

Daher möchte die Phono-Industrie mit den Radiosendern neue Verträge abschließen, die u.a. eine höhere Beteiligung der Verwertungsgesellschaften an den Einnahmen vorsehen. Thurow: „Bevor es keine vertragliche Einigung mit dem Sender gibt, wollen wir, daß die Ausstrahlung an unsere Erlaubnis gebunden ist. Das hindert diese Leute ja nicht, eigene Musik zu produzieren. Nur, das ist denen zu teuer.“

Der Vorstoß der Industrie richtet sich insbesondere gegen die beiden anglo-amerikanischen Pay- Radio-Stationen MC Europe und DMX. Zum Jahresanfang 1995 wollen beide Gruppen via „Astra“ jeweils sechzig unterschiedliche Musikprogramme zwischen Kammermusik und Techno, Jazz und Mariachi auch den Kabel- und Satellitenhaushalten in der Bundesrepublik anbieten. Das Monatsabo soll nicht mehr kosten als eine CD.

Bemerkenswert ist dabei, daß ausgerechnet drei der größten Schallplattenkonzerne, Warner, Sony und EMI, als Teilhaber von MC Europe selbst an der digitalen Verbreitung ihrer Audiosoftware mitwirken. Lediglich das Unternehmen vom Verbandsvorsitzenden Stein, die BMG/Ariola, ist bislang nicht an einem Digital-Radio- Anbieter beteiligt.

Auch von der technischen Seite her sind die Argumente der Schallplattenindustrie nicht sonderlich glaubwürdig: der „hochqualitative digitale Mitschnitt“ reicht allenfalls in der ersten Generation an die CD-Qualität heran. Digitale Kopien auf dem DAT-Recorder werden aber von Kopie zu Kopie schlechter durch einen eingebauten Kopierschutz. Andere digitale Aufnahmesysteme wie Sonys „Mini Disc“ und Philips' „DCC“ arbeiten von vornherein schon mit datenreduzierten Signalen. Spätestens in der vierten Kopiergeneration sind die Daten der ursprünglicen Aufnahme kaputtreduziert.

Ein wildes Kopieren wie bei Computerdisketten wird also kaum stattfinden. Hinzu kommt, daß selbst schon die über Digitalradio ausgestrahlte Musik datenreduziert ist, um überhaupt ihren Weg durch den vollgestopften Äther zu finden.

Ob schließlich auch die CD- Qualität in Zukunft noch das ist, was man heute darunter versteht, das ist eine weitere Frage. Die Schallplattenindustrie verhandelt derzeit mit der Telekom über neue Vertriebswege, die Transportkosten und Lagerhaltung auf ein Minimum reduzieren sollen. Die CDs werden dann demnächst auf Abruf direkt im Plattenladen gepreßt. Dorthin gelangt die Musik über ISDN-Leitungen und wird auf einer Computerfestplatte abgespeichert – datenreduziert natürlich.