Ruandas Pygmäen – vergessene Opfer

Die Minderheit der Twa in Ruanda ist möglicherweise in den letzten Monaten weitgehend ausgerottet worden / Im Frieden wurden sie aus den Wäldern vertrieben und im Krieg ermordet  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – „Wenn zwei Elefanten streiten, leidet das Gras“, lautet ein afrikanisches Sprichwort. Eine vergessene Bevölkerungsgruppe Ruandas hat sich jetzt zu Wort gemeldet und sich dieses Bild zu eigen gemacht. Unter den Opfern der letzten Monate in Ruanda befinden sich nicht nur massakrierte Tutsi und geflohene Hutu, sondern auch die Minderheit der Twa-Pygmäen.

Offiziell bilden die etwa 30.000 Twa ein Prozent der Bevölkerung Ruandas. Sie gehören zu den „vergessenen Opfern“ des ruandischen Konflikts, sagte gestern der Exekutivsekretär der 1991 gegründeten Twa-Bewegung APB (Verein zur Förderung der Batwa), Charles Uwiraye, gegenüber der taz.

Tausende von Twa, so Uwiraye, sind in den letzten Monaten ums Leben gekommen. Wie viele jetzt noch übrig seien, wisse er nicht, denn die Überlebenden seien als Flüchtlinge verstreut. „Tansanische Kirchenmitarbeiter haben mir gesagt, daß es Twa in ihren Lagern gibt“, berichtet er. „Sie haben Angst, daß man sie als Twa erkennt, also verstecken sie sich. Wenn ich nach Ruanda zurückgehe, werde ich von Lager zu Lager im Land und über die Grenze hinaus gehen müssen, um mir ein Bild zu machen, wer überhaupt noch lebt.“

Die Twa gehören zu den zentralafrikanischen Pygmäenvölkern, die einst mit insgesamt etwa einer viertel Million Menschen in den Regenwäldern Zentralafrikas lebten – von Ruanda, Burundi sowie Uganda über Zaire und die Zentralafrikanische Republik bis nach Kongo und Gabun. In der traditionellen ruandischen Gesellschaft galten sie als Töpfer und Künstler, und noch im unabhängigen Ruanda stellten sie den Großteil der staatlichen Tanztruppe. Vom politischen Leben blieben sie weitgehend ausgeschlossen. Ganze drei Twa sind jemals zu einer Universität gegangen. „Wir leben am Rande der Gesellschaft und werden als Bürger zweiter Klasse behandelt“, sagte im vergangenen Jahr Twa-Führer François Kagoro.

Wie die Pygmäen überall sind auch in Ruanda die Twa in den letzten Jahren in die Städte und darin an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden. „Meine Vorfahren lebten im Gishwati- Wald bei Gisenyi“, sagt Uwiraye. „Der wurde immer weiter abgeholzt; das letzte Stück verschwand im Juli 1993. Meine Leute wurden ohne Alternative oder Entschädigung hinausgeworfen.“ In den Städten war ihr Töpferhandwerk durch billige Plastikkonkurrenz gefährdet. Die Abholzung des nordwestruandischen Bergwaldes wurde nach Angaben der britischen Menschenrechtsorganisation „Survival“ von der Weltbank finanziert, um Weide- und Ackerland zu schaffen. „Davon profitierten hohe Offiziere und Amtsträger der Regierungspartei, die da ihre Kühe weiden lassen können“, sagt Uwiraye – aus der Region Gisenyi kommt der Großteil der früheren ruandischen Elite, auch Ex-Präsident Habyarimana.

Uwiraye selbst entkam den Massakern nach dem Tod Habyarimanas am 6. April nur durch Glück. Sein Haus befand sich nur kurz von der Absturzstelle des Präsidentenflugzeuges entfernt. „Ich verließ mein Haus und versteckte mich mit meiner Familie“, erzählt Uwiraye. „Wir lebten auf einer Kaffeeplantage, in Sumpfgebieten, wir gingen von Busch zu Busch.“ RPF-Soldaten hätten ihn und seine Familie schließlich aufgelesen und in ein Lager bei Byumba gebracht, von wo aus er eine UNO-Einladung nach Europa erhielt.

Jetzt hofft der Twa-Führer, daß sein Volk unter der neuen ruandischen Regierung einen „neuen Anfang“ machen kann – wenn es noch existiert. Nach einer Schätzung des internationalen Minderheitendachverbands Unpo sind 75 Prozent der ruandischen Twa inzwischen tot.