Schulreform statt Abwehrkampf

■ Neue Töne von GEW-Chef de Lorent zur Arbeitszeit-Diskussion / Nötig sei statt dessen eine „Schulreform höheren Grades“ Von Kaija Kutter

„Ich zweifele, ob es Sinn macht, auf Abwehrkampf zu setzen. Es ist doch die Frage, ob ohnehin durch Politik demotivierte Pädagogen gegen etwas kämpfen, das sie ohnehin nicht beeinflussen können“. Ungewohnte Worte von GEW-Landeschef Hans-Peter de Lorent.

Noch vor den Sommerferien hatte die Lehrergewerkschaft von „Kampfmaßnahmen“ gegen die für 1995 geplante Erhöhung der Pflichtstunden für Lehrer gesprochen. Doch nun, so de Lorent zur taz, gebe es gewerkschaftsintern die Debatte, ob nicht die Beteiligung an einer „Schulreform höheren Grades“ mehr bringe.

Denkbar sei, so der Hamburger GEW-Vorsitzende, ein Modell, wie es die Bildungsminister in Bremen und Hessen vorgeschlagen haben: Die Unterteilung in Pflichtstunden und außerunterrichtliche Tätigkeit ganz aufzuheben und den Lehrern über die Verrechnung der Ganzjahresarbeitszeit eine 38,5-Stunden-Woche zu gewähren. Der Spareffekt könnte durch eine Veränderung der Schüler-Lehrer-Relation erreicht werden, was aber nach dem Bremer-Modell nur dann geht, wenn den Schulen mehr Selbstentscheidungsrechte und mehr Autonomie gewährt wird. de Lorent: „Wir müssen uns die Frage stellen, ob alles, was in der Schule stattfindet, auch nötig ist.“

Zum Hintergrund: Wenn an diesem Montag in Hamburg die Schule beginnt, ist die Schülerzahl mit 211.756 so groß wie seit 20 Jahren nicht mehr. Allein 14.020 Erstklässler werden erwartet, das sind 840 mehr Jungen und Mädchen als im Vorjahr. Doch der Rekord kommt nicht überraschend. Die bis zum Jahr 1997 geschätzten 12.000 zusätzlichen Schüler waren Anlaß für den Zank der vergangenen Monate zwischen Schulbehörde und Lehrerorganisation. Zwar werden die Schulen von Stellenstreichungen verschont, doch gibt es trotz zusätzlicher Schüler keine einzige neue Lehrerstelle. Zwei Wochen vor den Ferien hat der Senat deshalb die Verlängerung der Lehrerarbeitszeit um eine Stunde ab 1995 verfügt. Eine Maßnahme, die Lehrer als ungerecht empfinden, da sie die einzige Berufsgruppe sind, die seit dem 2. Weltkrieg faktisch keine Arbeitszeitverkürzung bekam.

„Die Behörde hätte es bitter nötig, die Pädagogen zu motivieren“, sagt Hans-Peter de Lorent. Es wäre zu begrüßen, „wenn grundsätzlich neue Perspektiven geschaffen werden“. Aber bislang lasse ein Signal aus der Schulbehörde auf sich warten. Senatorin Rosemarie Raab behandle die Lehrergewerkschaft „wie eine Unterabteilung ihrer Behörde“.

Dabei liegen GEW-Chef und Senatorin gar nicht so weit auseinander: „Wir haben die Bremer Unterlagen angefordert“, sagt Schulbehördensprecher Ulrich Vieluf. Dortige Überlegungen würden in der Behörde diskutiert. Sollte es von der Basis gewünscht sein, wäre die Senatorin bereit zur Debatte. Der Senatsbeschluß zur Erhöhung der Pflichtstundenzahl sei „kein Präjudiz“, das einer Abschaffung derselben und Einführung eines „Präsenzzeitmodells“ im Wege stünde.

Ein solches Modell, bei dem der Unterricht im 45-Minuten-Takt aufgelöst wird, wird bereits heute an einigen Hamburger Schulen erprobt. Rosemarie Raab selbst hatte anläßlich der Verkündung der Arbeitszeitverlängerung Ende Juni ihre Sympathie für eine Neuorganisation des Schulalltags bekundet: „Wenn die Lehrerverbände ernsthaft Interesse haben, bin ich gerne bereit, dies zu unterstützen“.