■ Rosi Rolands Bremer Geschichten
: 344.000 km Bremen-Bonn

22 lange Jahre hat Ernst Waltemathe Bremen im Bundestag vertreten. Doch seine Erfahrungen kann er äußerst kurz zusammenfassen. Zum Beispiel so: „Wer in der Politik geradlinig ist, weicht fast immer von der Parteilinie ab.“ Aus seiner Verabschiedung von der aktiven Bremer Politik, die er gestern zusammen mit Hans Koschnick und Thomas von der Vring im Innungshaus der Handwerkskammer feierte, wollte Waltemathe „keine Trauerfeier“ machen, denn „vielleicht sind die Wählerinnen und Wähler ja gar nicht traurig“. 344.000 Kilometer hat Waltemathe zwischen Bremer Wahlkreis und Bonner Sitzungswochen zurückgelegt, erster Klasse Eisenbahn – „jetzt will ich das Volk nicht länger ausbeuten“, sagte er, „das soll jetzt Volker Kröning machen“. Was Walthemathes Nachfolger im Wahlkreis Bremen-Ost zu dem Zwischenruf hinriß: „Ihr seid das Volk, ich bin der Volker.“

Knapp hundert WeggefährtInnen der drei Bremer Politiker – FreundInnen, GenossInnen, JournalistInnen und politische GegnerInnen – spendeten Applaus für Waltemathe. Und auch für von der Vring, der sich gleich zu Beginn dafür bedankte, „daß Waltemathe und Koschnick mir hier die Chance zu ungewohnter Publicity geben“. Schließlich habe ihn in 15 Jahren Europaabgeordnetendasein kaum einmal jemand gefragt, was er da eigentlich mache. „Die haben mir immer nur auf die Schulter geklopft und gesagt: ,Mach weiter so, Thomas!'“

Mehr PR-Erfolg hatte da Hans Koschnick Anfang der 80er in der roten Kaderschmiede Bremer Uni. „Nach der Veranstaltung habe ich dem AStA ein Telegramm geschickt“, erinnerte er sich gestern, „2.000 applaudierende Studenten, macht mir das mal nach!“

Warme Abschiedsworte gab es für alle drei scheidenden SPD-Politiker gestern vom Bremer Werftbesitzer Detlef Hegemann. Und von Peter Sörgel. Der Klöckner-Betriebsratsvorsitzende gab sich große Ehre und zeigte sich erstmals in Schlips und Kragen in der Öffentlichkeit. Auch das Zeichen seines unaufhaltsamen Aufstiegs vom DKP-Betriebsgruppenmitglied zum Großfürsten der „Bremer Arbeiterbewegung“, wie Hans Koschnick leicht ironisch vermerkte.

Noch ist Sörgel der einst hart bekämpften SPD nicht beigetreten. Und doch fällt sein Auftritt auf einem SPD-Landesparteitag oder eben bei einer Koschnick-Waltemathe-von-der-Vring-Ab-schiedsparty kaum noch auf. Und dazulernen konnte der Arbeiter im hellen Anzug auch noch etwas. Und zwar von Ernst Waltemathe: „Politiker werden oft nur von der Seite angeguckt – obwohl sie meist gar kein Profil haben.“ Rosi Roland