„Bißchen zu spontan gehandelt“

■ Prozeß vorm Landgericht: Guido S. schoß mit einer Schrotflinte um sich

War es überzogene Notwehr? Oder hat Guido S. versucht, Thomas M. umzubringen, als er ihn vor seiner Tür mit einer Schrotflinte niederschoß? Diese Frage wird derzeit vor dem Bremer Landgericht verhandelt und das Gericht hat es bei der Wahrheitsfindung nicht leicht: Denn die Aussagen des Angeklagten und des Opfers über die Umstände, die zu der Tat im März letzten Jahres geführt hatten, sind völlig verschieden.

Sicher ist: Thomas M. war auf der Suche nach Guido S., weil er ihn verdächtigte, am Tod des gemeinsamen Freundes Jens mitschuldig zu sein. „Ich bin über den Tod von Jens immer noch nicht hinweggekommen“, sagt Thomas M. Vier Wochen nach dem angeblichen Selbstmord hatte er gehört, daß Jens kurz vor seinem Tod bei Guido Tabletten gekauft hatte und wollte Guido deshalb zur Rede stellen. Mit seinem Schwager baute er sich vor der Wohnungstür von Guido S. in einem Hochhaus in Tenever auf und klingelte, klopfte und – als S. nicht öffnete – trat er mehrmals gegen die Tür. Daraufhin öffnete Guido S. die Tür, an der Hüfte eine abgesägte Schrotflinte, und schoß. Er traf Thomas M. in die rechte Seite, M. wurde ins Krankenhaus gebracht und operiert.

M. hatte bei seiner Verletzung Glück im Unglück: Es war nur ein Streifschuß, fünf Kugeln aus Gummischrot trafen ihn in die rechte Seite, drangen aber zum Glück nicht in die Lunge ein. Der Schuß hätte auch ins Auge gehen können: Für den Waffenexperten von der kriminaltechnischen Untersuchungsstelle ist die abgesägte Schrotflinte kein Spielzeug: „Bis zu einer Distanz von zehn Metern kann bei einem Kopftreffer jede einzelne Kugel tödlich sein.“

Für das Opfer Thomas M. ist Guido S. ein gefährlicher Waffennarr, der auch schon mal mit der Armbrust über den Kinderspielplatz gelaufen sei. Er habe mit Guido S. „nur reden wollen“, bewaffnet sei er nicht gewesen. Und die Fußtritte gegen die Tür, fragt ihn die Richterin, wie hart seien die gewesen? „Na, so wie man halt gegen eine Tür tritt“, meint M. Der Täter habe ihn durch die Tür aufgefordert, „zu verschwinden“, dann aber die Tür aufgerissen und sofort geschossen.

Hinter der Tür will dagegen Guido S. die Geschichte ganz anders erlebt haben. Der rundliche Mann mit dem Zopf und dem breiten niederbayerischen Akzent kam 1989 aus Passau nach Bremen, um hier ins Polamidon-Programm einzusteigen. Auch seine Freundin habe sich in Junkie-Kreisen bewegt, doch als er sie davon losbringen wollte, habe es Ärger gegeben: „Die haben uns bedroht, haben Bierflaschen gegen unsere Tür geworfen, mein Auto demoliert und uns mit Kampfhunden bedroht. Einmal hat ein maskierter Mann an der Tür geklingelt und mir beim Öffnen Tränengas ins Gesicht gesprüht.“ Jahrelang habe er sich gegen die Bedrohungen wehren müssen, dabei habe er nur seine Ruhe haben wollen. Als Ergänzung zu seinem Waffenarsenal aus Armbrust und zwei Gaspistolen legte sich Guido S. schließlich in Belgien eine Schrotflinte zu und sägte auf Rat der Verkäuferin den Lauf ab, „damit sie weiter streut und weniger Druck hat. Ich habe die Flinte vorher nicht ausprobiert und dachte, die Gummigeschosse wirken wie ein Faustschlag, ohne richtig zu verletzen.“

Am Tattag, sagt Guido S., sei er nachmittags aufgewacht, als Sturm geklingelt und heftig gegen die Tür getrommelt wurde. Thomas M., den er nicht kannte, habe durch die verschlossene Tür gerufen, er wolle mit ihm über den Tod von Jens reden. Das aber habe S. gerade vorher mit dem Bruder des Opfers getan und auf diese Weise mit seinen Feinden Waffenstillstand geschlossen, erzählt der Angeklagte im Gericht. Er habe Thomas M. wegschicken wollen, doch dann sei versucht worden, die Tür einzutreten. „Das Schloß brach schon aus der Tür, so daß man das Sperrholz sehen konnte.“ Er habe, sagt Guido S. „Todesangst“ um sich und seine Familie gehabt. Dann habe er die Tür geöffnet, mit der geladenen Schrotflinte in den Händen. Thomas S. habe hinter sich gegriffen – da habe er gedacht, der ziehe eine Waffe und habe eben abgedrückt. Ob das denn so richtig war, ohne Waffenschein mit einer Schrotflinte im Hausflur rumzuballern, fragt ihn die Richterin. „Naja, ich habe vielleicht ein bißchen zu spontan gehandelt“, sagt Guido S. „Aber jeder andere hätte genauso gehandelt.“

Bernhard Pötter