■ Normalzeit
: Mensch, Mädchen!

Bei den Kunstkritikerinnen ist die Sybille-Werbung („Was macht Ihr denn hier?“) verpönt: „Die sehen zu sehr nach Prenzlauer-Berg-Klischee-Ischen aus!“ Das stimmt, aber die unbunte Kampagne der Agentur „Colourminded“ hat desungeachtet beziehungsweise gerade deswegen einen „hohen Aufmerksamkeitswert“.

Und das schlägt sich auch schon in der Nachfrage nach der „etwas anderen“ Ost-Frauenzeitschrift nieder: „Du bist schon der 65., der nach Sybille verlangt“, sagt Aushilfs-Zeitschriftenhändler Tschüssy vom Kiosk Görlitzer Bahnhof und verspricht, sie jetzt endlich zu bestellen. Der hochinformierte Grieche in der Pücklerstraße hatte sie natürlich schon, „aber sie war gleich wieder weg“. Und Taifun in der Oranienburger kennt zwar mehrere Sybilles, aber keine Zeitschrift mit so einem Namen, er will sich aber „ernsthaft“ darum kümmern.

Die Leseexemplare im „Bierhimmel“, Oranienstraße, sind schon völlig zerlesen, und im „Blumhagen“, Kochstraße, hat jemand das letzte Heft einfach mitgehen lassen. Dort trafen sich neulich einige Sybille-Frauen mit Leuten „aus der Scene“, berichtet Geschäftsführerin Regina Conradt. „So etwas ist für uns wichtig. Wir planen auch einen Jour fixe einmal im Monat.“

Eine regelmäßige öffentliche Diskussion mit der Redaktion veranstaltet seit einiger Zeit schon die Junge Welt, im Café des JoJo-Clubs in der Wilhelm-Pieck- Straße, ebenso seit neuestem die „Sklaven“-Herausgeber aus dem Prenzlauer Berg – im Café Torpedokäfer. Während Stern und Spiegel ihre Ost-Bürgernähe gerade aufgaben und reumütig in das alberne Pressehaus, Kurfürstenstraße, zurückkehrten. Die Zeit hält sich zwar noch ihre Ost- Redaktion in der Französischen Straße, aber dort arbeitet nie jemand. Für die Sybille würde sich das Café „Sybille“ in der Karl- Marx-Allee quasi anbieten: Das Café-Logo ist noch das alte, es war früher identisch mit dem alten Schriftzug der Zeitschrift Sybille.

Deren Macherinnen übernahmen vor zwei Monaten das Blatt vom Gong-Verlag (für eine Mark) und wollen nun daraus wieder eine intelligente Kulturzeitschrift für Frauen gestalten, statt bloß jedem neuesten Diät-, Kosmetik- und Modetrend hinterherzuhecheln. „Ich vermisse die Querulantinnen“, wird Margaret Atwood halbfett zitiert. Die Prenzlauer-Berg-Mädchen auf den Plakatwänden sind zwar wie die Models in Sybille eher melancholisch-sensibel gestimmt als querulatorisch-widerständisch, aber immerhin verschonen sie uns so schon mal mit dümmlich- optimistischen Frohsinns-Posen. Das macht wahrscheinlich den Erfolg der Plakate aus, die 400mal im Osten und 200mal im Westen geklebt wurden, für den Preis von 100.000 Mark pro Monats-Dekade, abzüglich eines Nachlaßrabatts.

Das Geld dafür kam von der Sybille-Gründung „Werbungs- Beteiligungs-Gesellschaft mbH“, die bei Gutbetuchten akquirieren ging, deren Einlagen die Bürgschaftsbank absichern wird. Die derzeitige Auflage von Sybille beträgt 80.000, seit der Werbeaktion sind jedoch eine Menge neuer Abos dazugekommen. Damit könnte das Konzept bereits aufgehen: eine zwischen Trauer und Trotz changierende Ost-Emma, mit Schwarz-Weiß-Werbe- statt Tierschutz-, Anti-Islam- und Anti-Sexualmißbrauchs-Kampagnen als auflagensteigernde Maßnahmen. „Da ist aber auch noch ein bißchen Rot mit drauf“, korrigiert Frau Conradt jedoch meine Plakat-Wahrnehmung. Helmut Höge

Wird fortgesetzt