Village Voice
: Dunkelgelb an die Gitarre gepinkelt

■ So anachronistisch wie erstaunlich: Die vierte von Jingo de Lunch

Selig die Zeiten, als es noch so etwas wie einen „Senatsrockwettbewerb“ gab; als sich Musikjournalisten zusammensetzten und Tausende von Tapes hörten, um eine Rock-Liga mit zwanzig der besten Berliner Bands zu gründen – heute wird so etwas ja nicht weniger chaotisch, dafür um so basisdemokratischer per Hammelsprung gemacht.

Im Ernst: Scheiße fand man das damals wie heute, Bestätigung für Lebendigkeit und Progressivität hatte (und hat) in Berlin halt immer etwas Offiziell-Subventioniertes.

Ein Jahr jedoch fegte ein ziemlich frischer Wind durch die Mauerstadt, denn da gab es eine wirklich aufsehenerregende, sozusagen voll die Sause machende Band namens Jingo De Lunch. Auf allen Veranstaltungen anläßlich des Senatsrockwettbewerbs – es mußte ja am Ende auch ein Sieger gekürt werden – rockten und trashten Jingo De Lunch ein volles Haus, woraufhin sie berechtigterweise die Meisterschale stemmen durften.

Aber noch mehr: Sie wirbelten selbst in Köln, Spex-City, genug Staub auf, um zu ungewohnter Jahreszeit aufs Cover gehievt zu werden; ein ungewöhnlicher Vorgang, wenn man bedenkt, daß dort Berlin, und noch mehr Berliner Bands, nur mit spitzesten Fingern und Federn behandelt werden.

Aber das alles ist Schnee von gestern, lang, lang her, und ein Hype ist ein Hype ist ein Hype, selbst wenn da noch soviel an „Substanz“ und „großer Zukunft“ vorhanden ist und war – was heißt das schon im ultravergänglichen Kulturbereich der Popmusik? Und wer kann heute noch darauf pochen, daß der für damalige Berliner Verhältnisse speedlastige, metallische Hardrock von Jingo De Lunch sich wohltuend absetzte von dem hier üblichen Radiogeblubber oder der experimentellen, schwerlastigen Denkermusik Neubautenscher Prägung.

Nun gut, zumindest hatte man mit Jingo in Kreuzberg, besonders in 36, in den Bars, immer noch was anderes aufzubieten als Berufsautonomentum oder Multikulti-Idyllen; die Band verkörperte mit ihrem matten Glamour eine etwas anders gelagerte Dissidenz – einen Lifestyle, der es doch ganz cool machte, in dieser Stadt zu leben und nicht der Ödnis westdeutscher Großstädte ausgesetzt zu sein.

Mit „Déjà Voodoo“ gibt's mal wieder ein neues Album von Jingo De Lunch, das vierte mittlerweile. Und, wie soll ich sagen: es klingt so erstaunlich wie anachronistisch, denn alle Frische von damals ist in klartönenden, größtenteils dreiminütigen Songs konserviert.

Gelitten wird (fast) nicht einen Ton lang, da steckt immer noch der gute, alte Punk, Speed und Core drin. „Déjà Voodoo“ ist genau das musikalische Ding, das man in allen Zeiten gerne hört: Aufsässigkeit wird nicht zur Plattitüde, sondern ist Lebenseinstellung, die sich gegen jede Generationskonstruktion wehrt. Schneller, schneller, härter – und doch auch ein bißchen unvermutete Weichheit, und doch auch ein bißchen Pop: Hauptstadthipsterherz, was begehrst du mehr?

Und Sängerin und Aushängeschild Yvonne Duckworth (im zweiten Leben mittlerweile Moderatorin beim Musiksender Viva – aber irgendwie muß man ja sein Geld verdienen) windet sich, shouted, singt immer noch so, als ginge es um ihr Leben – wenn nicht sogar um den nächstbesten Drink an der Bar.

Nur einmal wird es etwas schwer, etwas prätentiös und etwas dumpf-zeitgenössisch: Als sich einer der Jungs in einer gut abgehangenen Rockballade versucht und alle Glocken und Gitarren in Moll und unglaublichem Leid erklingen.

Das wie immer aufschlußreiche Info spricht in schönstem Pressedeutsch vom „anspruchsvollen strukturierten Groover“. Aber den bekommen wir ja nun jeden Tag tonnenschwer um die geplagten Hörmuscheln gehauen.

Weg mit der Vergangenheitsduselei, her mit erlaubten Aufputschmitteln wie diesem, mit dem Jingo De Lunch so ganz en passant allen aktuellen Größen dunkelgelb an die Gitarre pinkeln. Und niemand braucht sich Gedanken darüber zu machen, ob die brave, verspießerte Winona Ryder die Uschi Obermaier der Neunziger wird. Gerrit Bartels

Jingo De Lunch: Déjà Voodoo (Phonogram). Demnächst auch auf Tour – mit Sicherheit auch inklusive Heimspiel. Watch out!