Schwerbehinderte finden kaum noch Arbeit

■ Nach ÖTV-Angaben erfüllen viele Arbeitgeber die gesetzlich festgelegte Beschäftigungsquote nicht / Im öffentlichen Dienst kaum noch Anstellungen

Schwerbehinderte finden in Berlin immer schlechter Arbeit. Nach Angaben der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) erfüllen rund drei Viertel aller Arbeitgeber die gesetzlich festgelegte Beschäftigungsquote von sechs Prozent nicht und müssen daher monatlich 200 Mark Ausgleichsabgabe pro Arbeitsplatz an die Hauptfürsorgestelle der Sozialverwaltung zahlen.

Auch im öffentlichen Dienst wird diese Quote seit 1990 nicht mehr erfüllt. Nach ÖTV-Rechnungen hat der Berliner Senat alleine im vergangenen Jahr knapp sieben Millionen Mark an Abgaben zahlen müssen, weil er nur 5,1 Prozent Behinderte beschäftigt. „Es ist ein Skandal, daß die öffentliche Hand so ein schlechtes Beispiel gibt“, sagt Uwe Scharf, stellvertretender Vorsitzender der Berliner ÖTV. Nach Gewerkschaftserhebungen stehen besonders die östlichen Bezirksämter in einem schlechten Licht da: Kein einziges Bezirksamt beschäftigt genug Schwerbeschädigte, trauriger Spitzenreiter ist das Bezirksamt Hellersdorf mit nur 1,95 Prozent. „Wir hören oft, daß einfach die baulichen Voraussetzungen nicht da sind“, sagt Dieter Heidmann, zuständiger Referatsleiter bei der Hauptfürsorgestelle, „aber das ist ein ausgesprochenes Scheinargument.“

Denn nur ein geringer Anteil der Schwerbeschädigten sitze tatsächlich im Rollstuhl, so Heidmann: „Die meisten haben Diabetes oder Bandscheibenprobleme und brauchen keine breiteren Türen.“

Rund 5,4 Millionen Mark hat die Hauptfürsorgestelle im vergangene Jahr für die Schaffung und Ausrüstung von 289 Arbeitsplätzen bereitgestellt. In Anbetracht der Summe der jährlichen Ausgleichsabgaben – alleine bis Ende Juni hat die Hauptfürsorgestelle 37,8 Millionen eingenommen – könnte eigentlich noch viel mehr für die Schwerbeschädigten getan werden, so Heidmann: „Wir haben Geld genug und bewilligen alles, was gerechtfertigt ist.“ Es gebe viele technische Möglichkeiten, mit denen Behinderten die Arbeit ohne großen Aufwand erleichtert werden könnte.

Der Behindertenvertrauensmann der ÖTV, Michael Wiedenborg, macht für die mangelnde Nachfrage vor allem allgemeines Desinteresse und „fehlende Sensibilität“ der Arbeitgeber verantwortlich: „Einer sagte, er könnte es nicht mit ansehen, wie einer seiner blinden Arbeitnehmer sich zur Arbeit schleppen würde und wollte ihm deshalb kündigen.“

Für die insgesamt 9.000 arbeitslos gemeldeten Schwerbeschädigten in Berlin, zu denen nach Angaben der Gewerkschaft noch eine „erhebliche Dunkelziffer“ hinzukommt, wird sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt in der Zunkunft noch verschärfen, glaubt Wiedeborg: „Die Anzahl der betriebsbedingten Kündigungen steigt stark an, mit dem Ergebnis, daß viele versuchen, ihre Behinderung zu verstecken.“ Anne-Kathrin Schulz