■ Acht Monate Viva
: Stehgreifsender

Es war eine Pressekonferenz in bester Viva-Tradition: Bei der Kölner Musikmesse PopKomm gab Viva-Geschäftsführer Dieter Gorny überraschend bekannt, daß man bei der Landesanstalt für Rundfunk in Nordrhein-Westfalen einen Lizenzantrag für einen zweiten Musiksender habe. Der Name: Viva 2. Die Devise: erst ankündigen, dann sehen wir weiter.

Auch der deutsche Pop-Spartenkanal Viva, der seit Dezember 1993 im NRW-Kabel ist, wurde über ein Jahr mit immer neuen Namen und Gesellschaftern angekündigt, bevor er vor 8 Monaten ziemlich hektisch und ohne rechtes Konzept auf Sendung ging: „Wir fahren den Sender on air rauf“, verkündete damals Vizegeschäftsführer Klaus Finger, nachdem sich endlich fünf Gesellschafter zusammengerauft hatten. Darunter vier der größten Plattenfirmen in Deutschland: Je 19,8 Prozent halten Warner Music, Sony, Thorn EMI und PolyGram, der fünfte im Bunde ist der Kaufhauserbe Frank Otto.

Selbst Viva-Moderatorin Heike Makatsch gibt heute zu, daß die ersten Monate auf Viva „ziemlich schrecklich“ gewesen seien. Der Grund für den überstürzten Sendestart: Als der öffentlich-rechtliche Kulturkanal Eins Plus aus Kostengründen abgewickelt wurde, war plötzlich ein Kanal im proppevollen Kabelnetz freigeworden, den man belegen wollte. Die Eile, mit der Viva zusammengestoppelt wurde, sieht man dem Programm bis heute an: Noch immer wird die Nonstop-Clip-Berieselung nur selten durch Moderation oder gar redaktionelle Beiträge unterbrochen, noch immer ist der anvisierte Programmanteil von 40 Prozent deutscher Musik nicht erreicht.

Trotzdem holt der Sender, der mittlerweile 85 festangestellte Mitarbeiter hat, die zum größten Teil für Dumping- Preise arbeiten, langsam auf: Immerhin sind inzwischen einige der bei Sendebeginn großspurig angekündigten Formate eingeführt worden. Mit der von Stefan Raab moderierten Show „Vivasion“ ist es sogar gelungen, eine Sendung mit einem gewissen Kultpotential zu etablieren. Raab ist eine Imitation des Pöbel-Altmeisters Ray Cokes, der auf MTV schon seit Jahren seine Studiogäste und sein Publikum durch den Kakao zieht.

Erfolgreicher als die redaktionelle Arbeit läuft bei Viva derzeit freilich die Kooperation mit der werbetreibenden Industrie: Für Firmen wie Kellog's, Mustang und Puma, die ihren jungen Zielgruppen gerne so nah wie möglich auf den Pelz rücken, werden bei Viva Sendeformate maßgeschneidert.

Ansonsten orientiert man sich weiterhin am Vorbild MTV: Nachdem der britisch- amerikanische Popsender zur Europawahl Politikerinterviews und Sondersendungen brachte, will Viva jetzt selbstproduzierte Wahlvideoclips ausstrahlen. Auch den jetzt von Viva angekündigten BTX-Service bietet MTV schon seit einiger Zeit.

Mit Viva 2 will man nun offenbar den Musikgeschmack der älteren Jahrgänge anpeilen. Möglicherweise entsteht noch ein Zusatznutzen: Wenn Viva 2 lizensiert und ins Kabel eingespeist wird, könnte dafür der Konkurrent MTV seinen Sendeplatz verlieren. Um endlich die angepeilte technische Reichweite von 90 Prozent aller Kabelhaushalte zu erreichen, muß Viva vor allem ins Berliner Kabel, wo es bislang nur im Hyperband zu sehen ist. Darum will Viva jetzt einen Antrag für ein Berliner Lokalfenster stellen, wohl um sich der Medienanstalt Berlin-Brandenburg anzudienen.

Wer Viva eigentlich guckt, ist bis heute ungewiß: Der Sender läßt sich nicht wie andere Kanäle durch die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) messen, weil die erwarteten Einschaltquoten unterhalb der GfK-Fehlerquote liegen dürften. „Vor Weihnachten“ will man jetzt zum ersten Mal Zahlen vorlegen. Bis dann soll auch entschieden sein, ob das Viva-Sendezentrum in Köln bleibt oder nach Düsseldorf zieht. Tilman Baumgärtel