piwik no script img

„Goldkehlchen“

■ Spurensuche: Die Dame mit den Goldringen um den langgestreckten Hals

Sie fällt auf in der Reihe der großen Werbetafeln. Die schöne Schwarze mit dem überlangen Hals, geschmückt mit blinkenden Messingringen. Skeptisch von oben herab blickt sie auf die Versuchung des etwas klein geratenen Beaus. „Goldkehlchen“ – so der deftige Werbespruch obenauf. Die sogenannten Giraffen-, Langhalsfrauen – jetzt „Goldkehlchen“ – waren hierzulande weitgehend unbekannt. Sicherlich ungewollt weisen die Werber darauf hin, daß es neben dem Füßebinden im alten China, der afrikanischen Beschneidung der Klitoris noch eine andere Variante der Verstümmelung von Frauen gibt: 18 Messingringe verlängern den Hals, deformieren die Muskeln und schränken die Bewegungsmöglichkeiten der Trägerin ein. Daß es diesen Brauch nur bis zur Mitte unseres Jahrhunderts bei den kenianischen Samburo und Gabbara gegeben hat, ist für die Werber bedeutungslos.

Zwar ist diese Unsitte in Afrika verschwunden, doch in Asien, im thailändisch-birmesischen Grenzbereich, lebt sie weiter. Zu Beginn der neunziger Jahre flüchteten mehrere hundert Padaung aufgrund ethnischer Auseinandersetzungen von Birma nach Thailand, wo sie seither geschickt touristisch vermarktet werden. Ein Ausflug dorthin ist lohnendes Ziel für Fotojäger. Vor den Hütten, auf der kleinen Veranda, weben die Frauen. Die fertigen Produkte: Gürtel, Taschen oder Schals, werden zum Verkauf angeboten. Da sich die Metallringe in der prallen Sonne schnell erhitzen, führen die Mädchen und Frauen zwangsweise ein Schattenschattendasein. Fotogebühren, die früher den Frauen direkt ausgehändigt wurden, werden heute, auf Anweisung des thailändischen Tourismusministeriums, vorsorglich vor dem Betreten des Dorfes kassiert.

Über den Ursprung des seltsamen Schmucks kursieren verschiedene Legenden. Falsche Brautjäger oder wilde Tiere sollen abgehalten werden. Der naheliegendste Grund wird verschwiegen: Eine derart Behinderte kann besser vom Herrn und Gebieter kontrolliert werden. Ab dem 4. Lebensjahr werden den Mädchen Schulter- und Halspartien massiert und goldene Ringe um den Hals gelegt, bis zum Heiratsalter werden bis maximal 25 Ringe, oft mehrere Kilogramm schwer, hinzugefügt. Mit dieser Bürde gehen sie durchs Leben; denn die Regel sieht vor, die Ringe nur zum Zwecke der Bestrafung zu entfernen, was einem Todesurteil gleichkommt.

Auf die anstrengende Fernreise zu „Goldkehlchen“ kann sicherlich aus vielerlei Gründen verzichtet werden, und vor der Versuchung auf dem Plakat warnt ja schon der Gesundheitsminister. Anna Gerstlacher

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen