Unschöne Loser

Das „wir“ ist brüchig geworden, die revolutionären Sehnsüchte sind geblieben. Ein bißchen peinlich sind sie schon, aber doch auch wieder sympathisch, die Helden der neuen Erzählungen von Michael Wildenhain  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Michael Wildenhain hat mit dem Schreiben in einer Szene begonnen, in der Schreiben verpönt war – „det galt als nicht seriös“. Dem Häuserkampf der frühen achtziger Jahre hatte sein erstes Buch, der Besetzerroman „zum beispiel k.“, dienen und helfen sollen. Wildenhain ist ein sympathischer Mensch. Im Gegensatz zu seinen sich oft furchtbar wichtig nehmenden schreibenden GenerationsgenossInnen gibt sich Wildenhain in der Öffentlichkeit wohltuend selbstironisch. Mittlerweile hat der 35jährige Joggingschuhträger die üblichen Schritte einer zehnjährigen halbwegs erfolgreichen literarischen Karriere – Stipendien, Preise, Theater, Lyrik, drei Romane, von denen der letzte durchaus schwergewichtig ist, zwar schon hinter sich; eigentlich schreibt er aber immer noch den frühen achtziger Jahren hinterher.

Sein jüngst erschienener Erzählungsband „Heimlich, still und leise“ macht da keine Ausnahme. Auch hier bewegt sich Wildenhain im Umfeld großer Sehnsüchte, die sich so gerne „Revolution“ schrieben oder schreiben. Er schreibt Geschichten vom Erwachsenwerden oder Erwachsengewordensein. „Generationsprosa“ könnte man das nennen, eine Prosa allerdings, die im Gegensatz zu dem, was die meisten 30- bis 40jährigen sonst so schreiben, merkwürdig fragil daherkommt. Wildenhains Helden mangelt es oft bei aller Konsequenz, die er ihnen mitgibt, an Selbstsicherheit. Manchmal wirken sie geradezu peinlich.

Gerade das macht sie vielleicht zu authentischen Vertretern einer Generation, in der das „wir“ (das Wildenhain immer noch so häufig wie beschwörend verwendet) und damit auch verschiedene Ästhetiken des Widerstands schon ein bißchen brüchig geworden sind; in der die einzelnen sich weder in die ersehnte Gemeinschaft der Guten einfügen noch in schöner Einsamkeit für sich sein können. Statt dessen stehen sie ein bißchen blöde am Rande einer Ästhetik der Existenz, die sie nicht so recht hinbekommen.

Diese Kunst und Leben schwer machende Blödigkeit färbt auch die Geschichten. Beabsichtigt zuweilen, wenn schöne Helden von damals, zerzaust und nicht mehr jung & schön anzusehen, in der Gegenwart gelandet sind; vermutlich eher ungewollt in Passagen, die sich um die Wiedergabe unmittelbarer Erfahrungen der Rebellion bemühen und darin nicht weniger scheitern als die Kämpfe(r), die sie beschreiben. Oft landen sie in Kitsch und Klischee: „... am Himmel kreisten Hubschrauber, und wir formierten uns“; „die Polizei zerschlug die Ketten, erst mit der Faust, dann mit Knüppeln, wir waren viele, sie waren mehr, der Himmel trank aus gelblich braunen Pfützen“ etc.

Wer zufälligerweise bei den Ereignissen dabei war, die Wildenhain hier zum Vorbild nimmt – es geht nicht um den ersten Kreuzberger Mai, an dem ein letztes Mal für Momente fast unschuldig ein Glücksgefühl zwischen verschwenderischem Fest und Rebellion aufblitzte, sondern um eine eher unspektakuläre Blockade der Zahnmedizin während des Berliner Studentenstreiks 1988/89 –, wundert sich ein bißchen. Ganz so großartig wie beschrieben jedenfalls war's nicht. Doch nur einmal rutscht Wildenhain ins elendig mannhafte Straßenkampfpathos. Es geht ihm diesmal um unschöne Loser. Die warten stumm in Kneipen darauf, daß etwas geschieht; von Kreuzberg enttäuscht, trampen sie ins Anarchistencamp nach Portugal (ohne daß man mehr übers Camp erfährt, leider); als Liebespaar wissen sie nicht so recht, was sie miteinander reden sollen. Durch die Geschichten geistern junge Männer, deren Sex durch Sexbildchen verstört ist, ungeschickte, wortkarge Helden mit ungelenken Körpern, lesende junge Arbeiter, linke Schüler, deren aufrührerische Reden am peinigenden Schweigen der anderen abprallen, traurige Lehrerinnen und leider auch Künstler „im Leopardenanzug, das Saxophon gen Himmel gereckt“ (Oje!).

Bedrückend sind die Elternhäuser. Ein fetter, sadistischer Theaterregisseur kommt vorbei – „er war Jude, und er nannte alle Neger Neger, Schauspieler finden das schick“ –, ein Künstler, der die Stadt mit seinen Bildern plakatiert, von Bullen festgehalten wird und sich später das Leben nimmt, Skins, Sozialarbeiter und „Sozialfälle“, wie der leicht autistische Junge in einer schon etwas älteren Geschichte, der als Zwölfjähriger versucht, eine Mitschülerin zu vergewaltigen: „Auf Grund seines geringen Wissens bezüglich des gewünschten Unternehmens“ mißlingt dem verstörten Helden sein Vorhaben. Später bringt er eine ältere Frau um und macht ein Foto von der Leiche, weil's so schön aussieht. Diese Geschichte hat Wildenhain so beeindruckt, daß er sie passagenweise auch in einer anderen zitiert. Yuppies mag der Autor nicht leiden; er beschreibt sie leicht verächtlich als oberflächliche, hübsche junge Menschen, die immer nur bunte Cocktails trinken. Manchmal erlöst der Autor seine Helden, die oft hilflos zwischen Verzweiflung, Outsidertum und einer ins „normale“ einschwenkenden Karriere hin und her pendeln, durch Selbstmord. Damit die Geschichte ein Ende findet.

Diejenigen, die nur große, also kaum einmal Gegenwartsliteratur in die Hand nehmen, werden auch bei diesem Buch die Nase rümpfen. Die Metaphern sind oft etwas grob – das „Tier“ muß oft herhalten, ob es um von Nazis bedrohte Schwarze geht oder um Problemjugendliche –, besonders artifiziell ist die Sprache von Wildenhain sicher nicht, ihre Melodie ist immer die gleiche, und so wie seine Helden möchte man nicht sein oder zumindest nicht gesehen werden – ach, wie peinlich!

Doch zum einen sind in der Literatur die großen Meister bekanntlich rar wie überall, zum anderen macht es ja auch Spaß, in den gewöhnlichen Büchern von nebenan zu lesen. Und Michael Wildenhain ist zuzugestehen, daß sein neues Buch unter diesen eines der ehrlichsten ist.

Michael Wildenhain: „Heimlich, still und leise“. Erzählungen. S. Fischer Verlag, 172 Seiten, 18 DM