Index on Censorship

■ The Magazine for free speech

In der Auswahl aus „Index on Censorship“ ist von denen die Rede, die nicht in die nationalen Selbstbilder passen. Da sie mit ihrer Existenz die Vorstellung einer ethnischen, nationalen, historischen „Reinheit“ widerlegen, stoßen sie auf Mißtrauen und Schlimmeres bei jener Minderheit, die sich so erfolgreich als Mehrheit ausgeben kann und ihre Geschichte verleugnet und unterdrückt: Coloureds in Südafrika, Roma in Osteuropa – und Polen in den ehemals deutsch besetzten Gebieten.

Für sie (wie für so viele andere: Chinesen in Malaysia, Schwarze in den USA, Inder in Afrika) gilt, daß ihr ambivalenter gesellschaftlicher Status, der sich aus Kolonisierung, Exil und Vertreibung ergeben hat, Gedächtnis und Gewissen der Gegenwart ist, und daß sie deshalb – Funktion eines interkontinentalen Unbewußten – als Material und Symbol der Verdrängung dieser Geschichte der Gewalt schuldig erklärt werden. Dieser Prozeß zeugt auf seine Weise von dem „Furchtbaren, das die Menschheit sich hat antun müssen“, bis, in Paraphrasierung Horkheimers und Adornos, das nationale Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter der Nationen geschaffen war – dessen Zusammenhalt zudem auf jeder Stufe der Entwicklung wieder neu und blutig erkämpft wird.

Die Geschichte derer, die in diesem Prozeß die sichtbaren Opfer sind, ist nicht in unseren Geschichtsbüchern zu finden, sondern im Alltag der Fluchtwege und Sackgassen unserer Gesellschaft. Uta Ruge, London