„Geld oder Leben?“ – das ist hier die Frage

■ Hausfrau und Hure einst, Öko-Mutter und Karrierefrau jetzt. Gibt es eine Chance, den Festlegungen durch den „Homo oeconimicus“ zu entgehen?

Wer erinnert sich noch an Penelope? – Sie stand lange Zeit für den Zivilisationsmythos von der treusorgenden und keuschen Ehefrau des Odysseus, die „Lust an der festen Ordnung von Leben und Besitz“ verriet, wie es zuletzt Horkheimer und Adorno in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ formulierten. Eine Frau wie Penelope wartete auf ihren Gatten und verrichtete mit Hingabe die Arbeiten im Haushalt, im oikos. Als ihr Gegenbild kann der Mythos von Kirke gelten: Jene leistete als Hetäre und Verführerin die Arbeit des Geschlechts an Odysseus, dem herumirrenden Heroen.

Mit diesen Mythen von der Mutter als der Hausfrau und der Hure als der Liebesdienerin, mit diesen stereotypen Frauenbildern funktionierte seit der Antike die Aufspaltung von Frauenarbeit in den Verkörperungen einer meßbaren und vernunftgeleiteten männlichen Tausch-Potenz. Mehr noch: Mit dieser Aufspaltung erst konnte die Arbeit der Frauen und ihr Geschlecht zu einem produktiven Vermögen werden, das der Geldökonomie, das heißt männlichem „Besitz“, seit der industriellen Revolution naturhaft zur Verfügung stand.

In Verbindung mit einer historischen Analyse dieser Frauenmythen stellt die Frankfurter Sozialökologin Irmgard Schultz in ihrem Buch die Frage, ob die Arbeit von Frauen angesichts globaler Verteilungskämpfe jetzt in eine neue Phase der Verwertbarkeit eingetreten ist. Sie nimmt die neuen Leitbilder von der Öko-Mutter hier und der Karrierefrau dort, die an die Stelle der Stereotypen von der Hausfrau und Hure getreten sind, zum Anlaß, eine weibliche Verbindung von Geschlecht und Geld zu untersuchen.

Die Autorin muß dabei feststellen, daß die Penelope und Kirke auf den Leib geschriebene, die hegemoniale Normativität von Frauenarbeit diktiert wird von der Historizität eines „Homo oeconomicus“.

Odysseus ist nicht nur ein listenreicher männlicher Heros, sondern er ist vor allem ein instrumenteller Erzeuger. Als „Vater Staat“ vereint er im Homo oeconomicus seit der frühen Neuzeit alle Besitzrechte unter seinem Haupt. Hinter der Vater-Imago treibt ein ökonomisches Verwertungsinteresse mit der Zeit des eigenen Lebens Wucher. Ein männlicher Triumph des Willens verstellt die Welt mit seiner moralischen Inszenierung, maskierte Erzeugerideale kommen in Eigentums- und Strafrechten zum Ausdruck.

Männliche Rechtsideale, gestützt auf zeitlich meßbare und ordnungsmäßige Größen, dienen der Bilanzrechnung und dem Sparen. Männliche Rechtslogik ist eine Rechnungs-Logik, die mit der Zeit des eigenen Lebens als Arbeitszeit spekuliert. Nicht was in einem menschlichen Leben unmittelbar an Bedürfnisen, Gefühlen und Wahrnehmungen Gewicht hat, sondern was das Einkommen, der Karriereverlauf, die Kinderzahl chronologisch festhalten, zählt unter dem Strich. An die erste Stelle tritt immer der schnelle, der preisgünstige Erwerb, niemals was der Appetit des eigenen Lebens gewichtet.

Die Autorin formuliert diesen Teil ihrer Analyse mit der profanen Epiphanie eines Frankfurter Marktschreiers im Ohr, dessen lautmalerisches Kaufangebot lautet: „Äpfel, schöne Äpfel, das Pfund für eine Mark.“

Irmgard Schultz sucht aus der Verflechtung der „hegemonialen Normativität“ von Frauenarbeit mit dem historischen Rechnungskalkül des Homo oeconomicus einen Ausweg. Sie plädiert für eine ökologische Unterstützungsstrategie von Frauen, die sich nicht auf die neuen Leitbilder von der Öko- Mutter und der Karrierefrau als Fortsetzung der Stereotypen von Hausfrau und Hure festlegen lassen wollen. Die Alternative „Geld oder Leben“, die tief in die Alltagsexistenz vor allem von Frauen in der Dritten Welt eingreift, impliziert ein nicht hintergehbares Paradox. Auch feministische Frauenmythen werden schnell zu einer Fata Morgana, wenn sie dieses Paradox ausblenden.

Die Studie von Irmgard Schultz kreist das Themenspektrum „Geld und Geschlecht“ und das Problemfeld „Geld oder Leben“ aus weiblicher Perspektive systematisch neu ein. Indem sie den Versuch einer bilderreichen Argumentation unternimmt und auf profane Epiphanien zurückgreift, gelingt es ihr passagenweise, das strenge Kalkül sozialwissenschaftlicher Theoriebildung zu unterlaufen.

Die brennende Frage, worin sich die menschliche Existenz, die geschlechtliche Existenz von Männern wie Frauen, verkörpern läßt, im Geld oder im Leben, bleibt am Ende eine Frage unserer tagtäglichen Mythen und Umgangsweisen. Profanität und Sozialwissenschaft sind zu ihrer Beantwortung viel stärker aufeinander angewiesen als bisher. Manfred Bauschulte

Irmgard Schultz: „Der erregende Mythos vom Geld – Die neue Verbindung von Zeit, Geld und Geschlecht im Ökologiezeitalter“. Campus-Verlag, 246 Seiten, 39DM