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■ Clintons paradoxe Kuba-PolitikZuspitzen oder verhandeln?

Verkehrte Welt. Da kämpfen die USA gegen einen Massenexodus der Kubaner an und tun alles dafür, daß noch mehr die Insel verlassen: Die jüngst beschlossene Verschärfung der Sanktionen wird das Elend auf der Insel noch verschärfen und damit ein Anwachsen der Fluchtwelle begünstigen; die Entsendung weiterer Patrouillenboote, um Flüchtlinge vom amerikanischen Festland abzuhalten, erhöht die Chancen der balseros, der kubanischen Boat people, von der coast guard wahrgenommen und gerettet zu werden. Verkehrte Welt auch in Havanna. Da spricht Fidel Castro vom selbstverständlichen Recht der Kubaner, die Insel zu verlassen, als ob gerade dies nicht 35 Jahre lang mit langjährigen Gefängnisstrafen geahndet worden wäre. Weiter bezichtigt er die USA, in Guantánamo, ihrem militärischen Stützpunkt auf Kuba, ein Konzentrationslager zu errichten, und muß feststellen, daß Zehntausende seiner Untertanen ein solches offenbar dem Leben in ihrer sozialistischen Heimat vorziehen. Die US-Regierung verfügt, wie schon im Fall Haiti, über keine schlüssige Strategie, ihr Problem, das der massenhaften Einwanderung, zu lösen, und erklärt diejenigen, die gestern noch politische Flüchtlinge waren, heute zu illegalen Immigranten. Der máximo lider verfügt über kein Konzept, sein Land aus der wirtschaftlichen Katastrophe herauszuführen und den Kubanern eine Zukunftsperspektive anzubieten, und setzt die Freiheit als Erpressungsmittel ein: Die USA sollen endlich die Wirtschaftsblockade gegen die Insel aufgeben.

Als ob der wirtschaftliche Ruin die Konsequenz des US-Embargos wäre! Seit über 30 Jahren schon boykottieren die Amerikaner Kuba. Doch erst vor fünf Jahren begann die rasante Talfahrt der kubanischen Wirtschaft. Der Zusammenbruch der Sowjetunion bedeutete das Ende der Subventionierung des kubanischen Modells. Castros Revolution war zwar authentisch, nicht von außen aufgezwungen, aber sie lebte auf Pump. Als das Moskauer Füllhorn versiegte und Kuba zum erstenmal in seiner Geschichte wirklich unabhängig wurde, zeigte sich, daß dem sozialistischen System auf der Insel jede wirtschaftliche Grundlage fehlte.

Die Wirtschaftssanktionen erfüllten keine andere Aufgabe mehr, als Castro zu legitimieren, meinte jüngst der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes. Außerdem zögerten sie die Stunde der Wahrheit, die sie erzwingen wollten, gerade hinaus. In der Tat würde eine Aufhebung des Embargos den kubanischen Staats- und Parteichef wohl in beträchtlichen Erklärungsnotstand bringen. Andererseits aber ist heute jede Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung in Kuba, der allein dem Exodus ein Ende setzen kann, mit der Aufhebung der Wirtschaftsblockade verbunden. Das Land braucht dringend Devisen, und die Exilkubaner in Miami haben sie.

So tun sich denn für Kuba im wesentlichen zwei Wege auf. Die USA führen unter dem Druck der Scharfmacher der kubanischen Exilgemeinde ihre Politik fort, die ungeachtet aller humanen Kosten auf eine Verschärfung der wirtschaftlichen Krise setzt, um den kubanischen Revolutionsführer zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen. Oder aber sie setzen auf den moderaten Flügel des Exils, der in Miami zwar noch minoritär ist, aber in letzter Zeit immer mehr Zulauf erhält, auf Verhandlungen mit dem kubanischen Diktator drängt und offenbar bereit ist, auf der „Zuckerinsel“ zu investieren.

Der erste Weg birgt ein beträchtliches Risiko in sich. Angesichts einer starken Armee und eines intakten Geheimdienstes, die auf die Verteidigung der kubanischen Revolution eingeschworen sind, könnten Hungerrevolten und Repression zu einem Bürgerkrieg eskalieren, der nicht nur Tausende und Abertausende Menschenleben kosten würde, sondern auch Flüchtlingsströme erzeugen könnte, gegen die sich der heutige Exodus wie ein Rinnsal ausnähme. Der zweite Weg würde zwar die Exilkubaner um den autoritären Mas Canosa, der in Miami wohl noch eine Mehrheit seiner Landsleute hinter sich weiß, in gewisser Weise aber das reaktionäre Pendant zu Castro ist, vor den Kopf stoßen und könnte die Regierung Stimmen kosten. Er scheint aber der einzige zivile Ausweg aus der Krise.

Moralische Bedenken gegen eine solche Politik, die 35 Jahren Strangulierung mit zweifelhaftem Erfolg ein Ende setzt, kann Bill Clinton nicht geltend machen. Weshalb sollte er Castro den Dialog verweigern, nachdem er mit China zu einem constructiv engagement gefunden hat und mit Nordkorea längst ins Gespräch gekommen ist. Drei Jahrzehnte lang konnten die USA die revolutionäre Insel mit einigem Recht als Bedrohung ihrer Interessen auf dem Subkontinent sehen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Befriedung des mittelamerikanischen Krisenherdes geht vom wirtschaftlich zerrütteten Kuba für die USA keine Gefahr mehr aus. Es sei denn die einer Massenflucht, wie sie Clinton gerade zu verhindern trachtet. Verkehrte Welt! Thomas Schmid

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