„Es tut mir im Herzen weh“

Japans Premier Murayama bereist Südostasien und stellt sich der Vergangenheit / Seine Gastgeber auf den Philippinen und in Hanoi wünschen zukunftsorientierte Investitionen und Hilfsgelder  ■ Aus Tokio Georg Blume

Im Gegensatz zu Produkten und Patenten läßt sich Geschichte nicht kopieren. Oder doch? Allzugern möchte Tomiichi Murayama als erster sozialdemokratischer Regierungschef seit 47 Jahren in Japan den Erfolg imitieren, den der deutsche Kanzler Willy Brandt einst mit seiner Versöhnungspolitik im Osten feierte.

Vergleiche mit dem historischen Kniefall Brandts in Warschau sind deshalb erwünscht, wenn Murayama am Sonntag in Singapur vor der 70 Meter hohen Gedenkstätte für die zivilen Opfer der japanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg einen Kranz niederlegt. 130.000 Soldaten des Tenno waren zu Beginn des Jahres 1945 in und rund um Singapur stationiert. Ihre grausamen Aktionen kosteten damals 50.000 Menschen das Leben – eine historische Schandtat, die man in Japan aufgrund der seit Jahren ausgezeichneten Beziehungen zu dem autoritären Regime der ehemaligen Kronkolonie bequem ignorieren konnte. Noch jeder japanische Regierungschef, der bisher Singapur besuchte, machte deshalb um die 1967 erbaute Gedenkstätte einen großen Bogen. Nicht so Murayama.

„Es tut mir im Herzen weh“, gestand der Premier bereits während des ersten Aufenthalts seiner einwöchigen Asien-Tournee. Da sah er sich auf den Philippinen mit den Entschädigungsforderungen der von japanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg vergewaltigten Frauen konfrontiert. Er versprach in Manila großzügige Maßnahmen zur Initiierung eines asiatischen Jugendaustausches. Darüber hinaus soll die japanische Entwicklungshilfe nun spezielle Ausbildungszentren für Frauen auf den Philippinen einrichten – das alles nur, so Murayama, „um unsere Reue und Entschuldigung“ vor den vergewaltigten Frauen auszudrücken.

Auf den Philippinen hinterließen die japanische Truppen im Zweiten Weltkrieg annähernd eine Million zivile Opfer, in Indochina waren es – ebenfalls japanischen Angaben zufolge – sogar zwei Millionen. So stand das Thema Vergangenheitsbewältigung für Murayama auch in Hanoi an erster Stelle, das er am Donnerstag als erster japanischer Regierungschef seit dem Vietnamkrieg besuchte.

Allein die Gastgeber, ob Vietnams Premier Vo Van Kiet oder der philippinische Präsident Fidel Ramos, schienen von dem plötzlichen japanischen Reuebedürfnis weniger beeindruckt. Die Gegenwart sei wichtiger als die Vergangenheit, hieß es in Hanoi, und in Manila sprach Präsident Ramos lieber von „zukunftsorientierten“ Beziehungen.

Bei Asien nicht nur an Profite denken?!

Die Gastgeber waren vor allem an einer kräftigen Erhöhung der Hilfsgelder interessiert: 500 Millionen Dollar Entwicklungshilfe zahlt Tokio pro Jahr an Vietnam, 720 Millionen Dollar an die Philippinen. Allein für Hanoi liefert Japan damit die Hälfte aller ausländischen Unterstützung. Murayama versprach in beiden Fällen, die kontinuierlichen Erhöhungen der Hilfszahlungen in Zukunft um pro Jahr etwa zehn Prozent fortzusetzen.

Allerdings wollte Murayama gerade bei dieser Reise den Eindruck vermeiden, Japan betreibe seine asiatische Außenpolitik nur mit Geld. „Asien ist für Japan die wichtigste Region der Welt“, hatte das Tokioter Außenministerium noch vorab verlauten lassen. „Das klarzumachen ist das wichtigste Ziel des Regierungschefs.“

Tatsächlich war diese Botschaft weitgehend an das japanische Publikum zu Hause gerichtet. Erst im Juli hatte eine Umfrage der Tokioter Tageszeitung Asahi gezeigt, daß nur 33 Prozent der Japaner glauben, ihr Land genieße heute Vertrauen in Asien. 53 Prozent glaubten das nicht.

Überwältigende 72 Prozent empfanden, daß ihre Regierung bisher nicht genug für die Entschädigung asiatischer Kriegsopfer getan habe. „Japans Beziehungen zu Asien beruhten bislang nur auf Krieg und Handelsinteressen“, beklagte die Zeitung. „Wie kann es Japan auch nur einmal gelingen, in bezug auf das Zusammenleben in Asien nicht gleich an Profite zu denken?“

Wenn es Murayama trotz aller Bemühungen bisher nicht gelang, auf diese Frage eine Antwort zu geben, ist es kaum seine Schuld. Erst kurz vor seiner Abfahrt mußte der bisherige Umweltminister in Tokio zurücktreten, weil er behauptete, Japan wollte im Zweiten Weltkrieg keinen Eroberungskrieg führen. Wenige Monate zuvor war bereits der Justizminister zum Rücktritt gezwungen worden, weil er Greueltaten der japanischen Armee in China schlicht leugnete.

Murayama ist dabei eben nur Sozialdemokrat und Führer des kleineren Koalitionspartners in Tokio. Die gescheiterten Revisionisten aber waren immerhin Mitglieder der beiden wichtigsten konservativen Parteien Japans.