■ Ökolumne
: Wundertropfen Von Thomas Worm

Ökologische ... was? Steuerreform? Brrrrhh. Ohrensausen. Magendrücken. Paralytischer Schock von Finanzministern. „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!“ Schade, daß Wirtschaftler nicht mehr auch Mediziner sind wie im 18. Jahrhundert François Quesnay, Erfinder des tableau economique. Der Mann hatte sein Ohr am Puls der Wirtschaft. Für ihn war sie ein Kreislauf, ein Organismus. Und folgerichtig gründete die ökonomische Gesundheit auf dem Erdboden, zu Quesnays Zeiten die Landwirtschaft. Natur als Basis der Industrie. Eine Sichtweise, die 250 Jahre lang außer Mode geriet und erst mit sustainable developement wieder auflebte.

Heute nun tönen sie über jeden Sendekanal, werden mit schlauer Miene in Zeitungsspalten und (SPD-)Grundsatzpapieren verkündet – die Schlagworte „nachhaltiges Wirtschaften“, „Energiewende“ und eben „Ökosteuern“. Nie parlierte eine vom Sommer- zum Wintersmog röchelnde Gesellschaft dermaßen überzeugt über ihre dringend gebotene Medikation. Nie blieb sie so weit hinter dem Erforderlichen zurück. Allenfalls ein halbherziges Lecken am womöglich bitteren Teelöffel. Von Schlucken bisher keine Rede.

Dabei sind die Risiken und Nebenwirkungen deutscher Öko-Steuern selbst für vom Wohlstand verzärtelte Exportbetriebe minimal. Die Packungsbeilage, vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Form einer 300-Seiten-Studie geschrieben, belegt es. Wenn die Energiesteuern jährlich um sieben Prozent hochdosiert werden, sinkt binnen 15 Jahren der Energieverbrauch und damit der CO2-Ausstoß um ein Fünftel. Bereits in zehn Jahren gibt es eine halbe Million mehr Jobs für Arbeitslose. Denn ein großer Teil der Steuereinnahmen – im Jahr 2010 insgesamt rund 200 Milliarden Mark – entlastet die Unternehmen: Sie müssen weniger Sozialversicherungsbeiträge auf Löhne zahlen. Dadurch wird Arbeit billiger, Energie(verschwenden) teurer. Der andere Teil der Steuern wandert als Öko-Bonus zurück in die Taschen aller Privatverbraucher; Haushalte mit Einkommen unter 4.000 Mark netto gehören zu den Gewinnern der Steuerreform. Ebenso übrigens Maschinenbau und Elektroindustrie, gern betuttelte Ausfuhrbranchen. Und das Allerfeinste für portemonnaiehörige Skeptiker: Die Gesamtwirtschaft schießt unterm Strich nichts zu.

Alles Lüge, Wundertröpfchen von Scharlatanen? Der DIW-Waschzettel wurde im Auftrag von einschlägig Bekannten verfaßt: Greenpeace. Doch hat nun ausgerechnet die Energiewirtschaft, neben Stahl und Chemie wichtigster Patient für energetische Sparkuren, die Aussagen des Berliner DIW bestätigt. Das „Gutachten zu den Wirkungen einer progressiven Energiesteuer“ wurde im Auftrag der Ruhrgas AG erstellt. Obwohl sich das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung alle Mühe gab, im schönsten Miesmacherton eine Energiesteuer als kontraproduktiv zu verwerfen, behaupten die Zahlen das Gegenteil.

Die Westfalen wählten eine fünfprozentige Energiesteuer, die – weniger effizient – auf die Preise der Brennstoffe geschlagen wird und nicht wie beim DIW auf deren Energiegehalt. Verblüffend: Der CO2-Ausstoß ist im Jahr 2010 dennoch um 14 Prozent niedriger als ohne Öko-Steuer, beim DIW sind es 14,7 Prozent. Gleichzeitig schwillt das Steueraufkommen, um die Lohnnebenkosten zu drücken, auf 160 Milliarden Mark an. Sogar einen „positiven Arbeitsplatzeffekt“ bescheinigen die Westfalen. Klar ist eins: Die errechneten Effekte haben gleiche Größenordnungen wie in der Greenpeace-Studie. Die Steuertropfen sind also wirksam. Und die Unternehmer wissen es. Es sollte kaum verwundern, wenn beim Bundesverband der Deutschen Industrie nicht auch noch ein ähnliches Gutachten in der Schublade liegt.

Energiesteuern sind der überfällige Schritt zur ökologischen Genesung der Industriegesellschaft. Die deutsche Republik könnte ihn als europäischer Vorreiter machen. Kranke Natur, siecher Arbeitsmarkt, anfällige Konjunktur – publikumswirksam gäbe es mit dem Reformprojekt was zu kurieren. Kohls Union indes lullt das Land mit Placebo-Parolen ein, während des Kandidaten Stimme erschlafft. Dabei besteuert die Umweltabgabe keineswegs psychische Energie. Will Rudi Scharping nicht als rosa Schlaftablette im Primanerlook enden, kann es für ihn eigentlich nur heißen: trommeln, Medicus, trommeln!