Nein, kein Chaos bei den Leipziger Sozis

„Singuläre Ereignisse“ verärgern die sächsische SPD / Ein Kandidat geschaßt, ein anderer vor dem Rauswurf / Da gilt der bündnisgrüne Werner Schulz als sichere Bank für rote Stimmen  ■ Von Detlef Krell

Nichts ist unmöglich bei den Sozis in Leipzig. Erst verärgert der Direktkandidat für die Bundestagswahl, Michael Müller, seine Partei mit der Forderung nach einer „Einheit aller Linken“ und der Vision gar einer Vereinigung von SPD und PDS. Dann muß der Mann folgerichtig seinen Hut nehmen. So kam dem einst aussichtsreichen Wahlkreis 1 sein Kandidat abhanden. Nun überlegt die Partei, wie sie inmitten ihrer Hochburg die GenossInnen orientieren soll. Der sächsische SPD-Vorsitzende und Landtagsspitzenkandidat Karl-Heinz Kunckel hat schon eine Idee: Er empfiehlt den Leipzigern, bei der Bundetagswahl den Direktkandidaten von Bündnis90/ Die Grünen, Werner Schulz, zu aunterstützen. So könnte erstmals ein Grüner über SPD-Stimmen direkt in den Bundestag einziehen.

Eine Konsequenz, die überraschend und zwingend zugleich ist. Überraschend, weil weder Kunckel noch der Parteivorsitzende Rudolf Scharping bisher dadurch aufgefallen sind, inhaltliche Nähe zu den Bündnisgrünen herauszustellen. In der Not einer drohenden Großen Koalition als „schwarz-rotem Klumpatsch“ hatte Werner Schulz für den Freistaat sogar die Schwarz-Grün-Debatte in die Welt gesetzt und damit sowohl Kunckel als auch die eigene Partei irritiert. Zwingend ist das Bekenntnis zu dem grünen Spitzenmann, weil es für die SPD höchste Zeit wird, statt Pannen doch endlich Wahlkampf zu betreiben – für Landtag und Bundestag.

Deshalb werden heute im Leipziger Rathaus zunächst der Vorstand des mit 936 Mitgliedern größten SPD-Unterbezirks, danach das Landespräsidium mit den BundestagskandidatInnen über die Strategie im Leipziger Wahlkreis 1 beraten. Daß dann die GenossInnen an der Pleiße ihrem Vorsitzenden „ins Grüne“ folgen werden, ist zwar nicht so ganz unwahrscheinlich. Unterbezirks-Geschäftsführer Ingo Reitmann mag sich jedoch auf keinerlei Spekulationen einlassen. „Es steht überhaupt noch nichts fest“, meint er zurückhaltend. Kunckels Empfehlung scheint nicht viel zu gelten: „Da hat schon mal irgend jemand laut nachgedacht“, kommentiert der Geschäftsführer den Tip aus Dresden. Immerhin sei „dieser Gedanke rational und naheliegend“.

Ganz rational geht auch der Direktkandidat im Leipziger Wahlkreis 2, Karl-August Kamilli, zu Werke. Der Mitbegründer der Ost-SPD tritt als Einzelbewerber eigenmächtig gegen seinen Genossen, den Bundestagsabgeordneten Gunter Weißgerber, an; und die Partei mußte die Extrawurst schlucken. Kamillis Kandidatur ist vom Wahlausschuß schon bestätigt worden. Nun soll der Abtrünnige zur Strafe vor die Tür gesetzt werden. Dem Parteiordnungsverfahren sieht Kamilli mit Interesse entgegen: „So kann ich auf Verkrustungen innerhalb der Partei aufmerksam machen.“ Geschäftsführer Reitmann wüßte zu gern, worüber Kamilli, der sich „befleißigt, die Partei mit Dreck zu bewerfen“, plötzlich diskutieren möchte. „Er hätte doch in den vergangenen Jahren genügend Zeit gehabt.“ Kamilli sei im Parteivorstand gewesen, Unterbezirks-Geschäftsführer und in anderen Funktionen, und er habe sich „dabei immer ziemlich rar gemacht“. Die Vorwürfe gegen die SPD würden sich „gegen ihn selber kehren“.

Diese Scharmützel mitten im Wahlkampf werden einen für die SPD noch ungewissen Ausgang nehmen. Parteisprecher Volker Knauer meint zwar: „Müller und Kamilli sind singuläre Ereignisse. Ich denke nicht, daß uns diese Vorkommnisse maßgeblich schädigen werden.“ Doch der Konflikt um den Umgang mit der PDS trägt eben nicht nur den Namen Müller. Deshalb, so Fraktionssprecherin Gesa von Leesen, dürften beide Namen „nicht in einen Topf geworfen“ werden. Die PDS-Debatte werde von der CDU betrieben, weil sie allein der SPD schade. Vom Chaos in der sächsischen SPD könne aber keine Rede sein: „In der Diskussion um Müller und Kamilli spiegelt sich nicht die Gesamtsituation der Partei wider.“