„Ich reise ohne Kulturgepäck“

■ Die „Weltspiegel“-Redakteurin Navina Sundaram über das Dilemma einer ausländischen Auslandskorrespondentin

Die Journalistin Navina Sundaram ist Inderin und Deutsche, das eine durch Geburt, das andere per Paß. Seit über 20 Jahren arbeitet die heute 48jährige als politische Redakteurin für den Weltspiegel. Viele FernsehzuschauerInnen kennen sie vom Internationalen Frühschoppen. Am Samstag war sie zu Gast bei Radio Bremen in der Sendung zettBeh. Die taz hatte einige Fragen an Navina Sundaram.

Können Sie in zwei Kulturen leben, denken und arbeiten?

Ja. Es ist ohne Probleme möglich, fließend von der einen in die andere zu wechseln. Probleme entstehen nur, wenn man sich zu stark über eine Kultur definiert. Wenn ich zum Beispiel unheimlich viel aus meinem Indientum machen würde. Dann wäre es für mich schwierig, mich zu öffnen für eine europäische Kultur.

Gibt es Situationen, in denen Sie Ihre deutsche oder Ihre indische Prägung deutlich spüren?

Ja, zum Beispiel in meiner Anfangszeit als Korrespondentin in Indien habe ich das sehr stark gemerkt. Ich habe es so genossen, wieder in Indien zu sein, daß ich mich mit Schwung in die sogenannte indische Kultur hineingeworfen habe. Ich wurde so hundertprozentig indisch, daß es für alle meine indischen Freunde unerträglich war.

Hat diese doppelte kulturelle Prägung auch ganz konkrete Auswirkungen?

Bei meinen vielen Reisen in Asien und Europa ist mir aufgefallen, daß mir die Begegnung mit Fremdem keine Probleme macht. Ich kann das, was mir von der Kultur entgegengebracht wird angucken, mit Neugierde, aber ohne es vergleichen zu müssen. Die Probleme entstehen erst, wenn man anfängt zu vergleichen, wenn man immer mit dem eigenen Kulturgepäck herumreist. Das versperrt einem die Sicht auf die andere Gesellschaft.

Sie haben also nicht das doppelte Gepäck, sondern gar keins?

Ja, ich habe eigentlich gar keins.

Heißt das, das neutralisiert sich gegenseitig?

Ja.

Ist das angenehm?

Ich finde das ganz angenehm und komme gut damit zurecht.

Glauben Sie, daß einheimische JournalistInnen besser über ihr Land berichten können?

Im Prinzip läuft das schon so, nur das deutsche Publikum weiß es nicht, denn ohne die „stringers“ und „researchers“ läuft nichts. Unter den Berichten stehen dann zwar die Namen der deutschen Korrespondenten, aber ohne die einheimischen Journalisten würde es diese Berichte gar nicht geben. Früher war ich stark der Meinung, daß man, um ins Ausland geschickt zu werden, erstens die Sprache nicht beherrschen darf und zweitens das Land hassen muß.

Vertreten Sie diese Meinung heute nicht mehr?

Nein. In der letzten Zeit habe angefangen, das zu relativieren. Es ist nicht unbedingt ein Vorteil, aus dem Land zu kommen, über das man berichten soll. Denn eins muß man nach wie vor bedenken, man berichtet für Deutschland. Und da muß man unterscheiden, ob man ein „news gathering“ betreiben will, oder eine Auslandsberichterstattung, die versucht, die Gesellschaft aus dem Selbstverständnis des Landes zu verstehen und das zu vermitteln. Dafür wäre sicherlich eine gute indische Journalistin oder ein Journalist besser geeignet.

Diese verständnisvolleBerichterstattung hat ja heute eine andere Nische gefunden, zum Beispiel bei Länder-Menschen-Abenteuer.

Es wäre gut, wenn man sich hier langsam daran gewöhnen könnte, daß Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist. Es sollte zum Beispiel im Fernsehen viel mehr ausländische Nachrichtensprecher oder Moderatoren geben. Das finde ich wichtig.

In anderen Ländern ist eine solche bunte Besetzung ja üblich.

Ja, in England, den USA oder Australien ist das völlig normal, aber das sind auch klassische Einwanderungsländer. Und Deutschland weigert sich standhaft, diesen Status quo anzuerkennen.

Ist das den Sendungen auch inhaltlich anzumerken?

Ich glaube ja. Da gibt es ganz unheimliche Entwicklungen. Das geht soweit, daß ein Programmdirektor beim Weltspiegel verlangt, daß es ethno-zentrischer wird, das heißt deutsch-zentrisch. Die klassische Auslandssendung soll über einen bewußt herzustellenden deutschen Bezug gestaltet werden.

Der Bezug, den ich herstelle, das ist ja noch nicht unbedingt der Blick, den ich auf die Dinge habe.

Doch, wenn du aus Indien nur die Dinge berichtest, bei denen es einen Bezug zu Deutschland gibt, dann wird dein Blick durch diese Themenauswahl extrem eingeengt. Ich merke, daß in den letzten zehn Jahren die Bereitschaft, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die nichts mit Deutschland zu tun haben, abnimmt. Für mich ist das eine Zunahme des Provinzialismus. Im Moment sehe ich allerdings überall einen Rechtsruck, in Indien mit den Hindu-Fundamentalisten, hier mit den Rechtsradikalen.

Gespräch: Gudrun Kaatz