„Das ist eher sowas wie 'ne Kur“

■ Hinter den Gittern der Jugendvollzugsanstalt Blockland / Ein Biotop am Rande der Gesellschaft

“Wenn die Gitter nicht wären, wäre das hier wie auf Urlaub oder –ner Klassenfahrt.“ Der 18jährige grinst. Indianer kennen keinen Schmerz, er kommt überall klar, selbst im Knast. Sein Kumpel ist auch ein Indianer: „Geschlagen werden wir hier nicht. Das ist eher sowas wie eine Kur.“

Tatsächlich haben die eingesperrten Jugendlichen noch Glück. In der Jugendvollzugsanstalt Blockland geht es offensichtlich humaner zu als in manchen anderen Knästen. Folge einer besonderen bremischen Jugendvollzugspolitik (vgl. taz vom 26.8.), Folge aber auch der liberalen Haltung von Manfred Wiegand. Der nämlich vertritt offiziell eine Linie, die für den Leiter einer JVA ausgesprochen ungewöhnlich ist: „Ich will die Jugend rausbringen,“ erklärt er unumwunden und kann belegen, daß es ihm damit ernst ist. In den acht Jahren seiner Tätigkeit sank die Zahl der Inhaftierten von 180 auf heute 60.

„Ich fühle mich in der Rolle des Konkursverwalters des Jugendvollzuges ausgesprochen wohl. Wir unterliegen der verdammten Verpflichtung, alles zu tun, um die Haft bei Jugendlichen zu vermeiden.“ Für Manfred Wiegand und seine MitarbeiterInnen bedeutet dies, sich für Maßnahmen einzusetzen, die die Haft der Jugendlichen verkürzen. Die Freiheitsstrafe bei Jugendlichen, die mindestens 6 Monate und maximal zehn Jahre beträgt, kann anders als bei Erwachsenen schon nach einem Drittel der verbüßten Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Ohne das in Bremen relativ dichte Netz sozialer Betreuung außerhalb des Knastes könnte diese Möglichkeit kaum genutzt werden. Außerdem hilft es, den berühmten Drehtüreffekt abzubauen: Bundesweite Statistiken beziffern die Rückfallquoten Jugendlicher bei 75 bis 90 Prozent. „Schlechter kann es doch gar nicht werden“, warnt Wiegand.

Auch die in Blockland einsitzenden Jugendlichen sind fast ausnahmslos „Rückfälle“, die gewöhnlich durch besondere Defizite in der Biographie vorbelastet sind: Geringes Ausbildungsniveau, Familien- und Partnerprobleme, Sucht, Wohnungs- und Arbeitslosigkeit. Fehlendes Selbstvertrauen wird durch Aggression kompensiert, die Perspektivlosigkeit durch draufgängerische Ignoranz gegenüber der Welt. Kinder einer Gesellschaft, in der zukünftig etwa 8 bis 12 Prozent eines jeden Geburtsjahrganges damit rechnen müssen, keinen Arbeitsplatz mehr zu finden. „Vor acht Jahren konnte ich noch jährlich zehn Leute in feste Arbeitsverhältnisse vermitteln, heute geht das gegen Null“, bemerkt Wiegand nüchtern.

Wir haben keine Chance, aber die nutzen wir könnte als Motto über den Bemühungen stehen, die Jugendlichen in Blockland trotzdem durch Qualifizierung auf das normale Leben vorzubereiten. Hier können sie den Haupt- und Realabschluß nachholen oder eine Lehre als Schlosser, Maler, Maurer, Elektriker oder Tischler absolvieren. In „Schnupperprojekten“ können sie individuelle Neigungen entdecken, in „Arbeitsfähigkeitstrainings“ grundlegende Fähigkeiten entwickeln. „Viele sind total hibbelig und können sich nicht mal zehn Minuten konzentrieren“, berichtet Wiegand während der Führung durch die Werkstätten und weist auf frischgefertigtes Holzspielzeug, Kleiderbügel und Schubladen. „Bei so einfachen Dingen können sie lernen, dabeizubleiben und haben am Ende ein fertiges Produkt.“

Stolz ist der JVA-Leiter auf das Feuchtbiotop, bei dem die Jugendlichen 120 Kubikmeter Erde „nur mit der Schaufel“ aushoben. Dort nisten jetzt Vögel, quaken Frösche, klappert die Windmühle des von den Knackis konstruierten Wasserzirkulationskreislaufes. Ein beschaulicher Ort, den die durchschnittlich 21jährigen gern aufsuchen, um mal alleine zu sein. „Hier haben viele das erste Mal erfahren, daß sie so etwas überhaupt bauen können.“ Am liebsten würde der ambitionierte Leiter hier noch Schafe herholen, wenn nicht einen ganzen Zoo. Aber das, prognostiziert er, werde schwierig, da eine kontinuierliche Verantwortlichkeit für die Tiere bei der Fluktuation der Jugendlichen kaum gewährleistet werden kann.

„Verantwortlichkeit“– der Begriff spielt eine große Rolle im Knast von Blockland, der ohne Mauern auskommt. Lediglich ein Fluß umgibt das 22 Hektar große Gelände, doch nur wenige versuchen, sich auf diese Art freizuschwimmen. In den Tod ist seit mehreren Jahren niemand geflüchtet, wohl in den Suizidversuch, aber „eher aus Demonstrationszwecken“, meint Wiegand. Aggressionen gegen KnastmitarbeiterInnen? Der Leiter zählt seit Beginn seiner Tätigkeit vor acht Jahren insgesamt „drei disziplinarisch relevante Vorgänge“.

Die Infrastruktur trägt dazu bei, Eskalationen zu verhindern. Kommunikation nach draußen wird durch Urlaube und großzügige Besuchsregelungen gewährt. Eher ungewöhnlich ist die Telefonzelle, aus der heraus sogar die Knackis der geschlossenen Abteilung jederzeit ohne Kontrolle telefonieren können. Am Tage können sich die Jugendlichen in ihrer Wohngruppe frei bewegen, und seitdem sie in der eigenen Küche ihr Essen selber kochen können, meckert niemand mehr „über den Fraß“.

Nachts allerdings bleiben die Zellentüren geschlossen. „Klar ist es auf der offenen Abteilung besser“, ärgert sich Hans (Name von der Red. geändert), der erst vor wenigen Wochen aus dem offenen in den geschlossenen Vollzug verlegt wurde. „Hab ich aber selbst dran Schuld“, ergänzt er. So eigenständig, wie er einen Urlaub verlängert hatte, brach er die nach ihm ausgelöste Fahndung ab, indem er sich drei Tage später freiwillig vor dem Tor einfand. Der schüchterne, beinahe brave junge Mann mit den 50 Einbrüchen im Register bleibt bis auf weiteres im geschlossenen Vollzug, dessen schäbige Tristesse durch die legal angebrachten Graffities beinahe noch deprimierender wirkt. Ein scharfer Geruch hängt in der Luft, es riecht nach Abgestandenem, nach Angst, Aggression und Putzmitteln.

Ein Teil der Gefühle kann sich auf dem Bolzplatz entladen, ein Teil der Privatheit läßt sich im eigenen Tiefkühlfach verstecken. Die Freiheit ist auf Eis gelegt, abgeschnitten von den grenzenlosen Möglichkeiten, welche die Werbung dieser Generation zuschreibt. Hier winkt kein Aufstieg, stattdessen geht's jung dynamisch in den Abgrund.

Beneidet werden die im offenen Vollzug, die haben immerhin einen Zimmerschlüssel, Symbol für Eigenständigkeit, für Vertrauen, für zugestandenen Raum, der durch Video und den Besuch von Werderspielen zusätzlich erweitert wird. „Aber das wichtigste ist der Schlüssel, ohne den ist alles anders“, sagt einer, der zum „offenen“ aufgestiegen ist. Er kommt bald raus, in vier Monaten. Ein Wohnungs- und Arbeitsloser in der Freiheit. Was wird er tun? Der Blick geht ins Blaue: „Weiß nicht, mal sehen. Hauptsache raus hier.“ Dora Hartmann